26.04.2005

Afghanistan: Menschenrechtsarbeit mit Hürden

Sima Samar, Vorsitzende der Nationalen Menschenrechtskommission, im Interview

Eine unabhängige Nationale Menschenrechtskommission sollte in Afghanistan gebildet werden, beschlossen die neuen Machthaber nach dem Sturz der Taliban. Geleitet wird die im Juni 2002 gegründete Kommission von Sima Samar. Der Kommission gehören elf Personen an, unter ihnen fünf Frauen und Vertreter der bedeutendsten ethnischen Gruppen. Seit langem betreute Samar afghanische Flüchtlinge in Pakistan, bevor die Ärztin im Jahr 2001 zur ersten Frauenministerin der Übergangsregierung ernannt wurde. Später war die Hazara Vizepräsidentin der Loya Jirga, der traditionellen Stammesversammlung. Sie wurde jedoch von konservativen Kräften angefeindet, so dass sie nicht erneut ein Regierungsamt erhielt. Die GfbV arbeitete bereits während der Diktatur der Taliban eng mit Samar zusammen.

bedrohte Völker: Welche sind die Schwerpunkte der Menschenrechtskommission?

Sima Samar: In den vergangenen 23 Jahren des Krieges sind die Menschen Opfer schrecklicher Menschenrechtsverletzungen geworden. Unsere Arbeit ist notwendig, um die Bevölkerung über Menschenrechte und vor allem die Rechte der Frauen zu informieren. Auch setzen wir uns dafür ein, dass internationale Standards der Frauen- und Menschenrechte bei der Ausarbeitung der neuen afghanischen Verfassung, der Gesetze und in der Rechtsprechung beachtet werden. Auch beobachten und untersuchen wir Menschenrechtsverletzungen.

bedrohte Völker: Wie arbeitet die Kommission?

Sima Samar: In fünf Bereichen sind wir besonders aktiv: der Menschenrechtserziehung, den Frauenrechten, Kinderrechten, der Entwicklung eines neuen Rechtssystems und der Beobachtung und Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen. So haben wir Büros in Kabul und in wichtigen anderen Städten – Herat, Mazar-E-Sharif, Lalalabad, Bamiyan – eingerichtet und mit Erziehungsprogrammen für Menschen- und Frauenrechte begonnen. Wir haben wahrscheinlich mehr als 1.000 Berichte über Menschenrechtsverletzungen erhalten und untersucht. Auch setzen wir uns dafür ein, dass Frauen als gleichberechtigte Staatsbürger in der neuen Verfassung anerkannt werden.

bedrohte Völker: Können sie angesichts des Einflusses der Warlords auch außerhalb Kabuls wirksam arbeiten?

 

Sima Samar: Die fehlende Sicherheit im Land macht unsere Arbeit äußerst schwierig. Sogar in Kabul sind Mitglieder der Menschenrechtskommission und andere Personen, die sich für Frauen- und Menschenrechte einsetzen, in Gefahr. Es gibt noch immer viele Drohungen. Außerhalb Kabuls ist die Lage noch schlimmer. Sicherheit ist immer noch ein großes Thema für Frauen. Ohne Sicherheit kann sich die Lage der Frauen auch nicht verbessern. Wir brauchen dringend mehr Personal für die ISAF und eine Ausweitung ihres Mandats. Ich hoffe, dass sich Deutschland und die Niederlande dafür einsetzen, dass die ISAF auch außerhalb Kabuls tätig werden kann.

bedrohte Völker: Was sind die größten Schwierigkeiten bei den Bemühungen, die Lage der Frauen zu verbessern?

Sima Samar: Die aktuelle Lage der Frauen ist nicht so positiv, wie sie oft beschrieben wird. Es gibt noch immer eine Menge Probleme. Sie tragen die Burqa, weil es keine Sicherheit gibt. Die Mädchen dürfen nun Schulen besuchen, aber es gibt nicht ausreichend Schulen. Die Jungen können auch Schulunterricht irgendwo auf dem Boden unter Bäumen sitzend bekommen, doch die Eltern werden Mädchen, die älter als zehn Jahre sind, dies nicht gestatten. Die Medien zeigen, wie Hunderte Mädchen zur Schule gehen, aber sie zeigen nicht, wohin sie gehen, wie sie dort sitzen und welche Qualität ihre Ausbildung hat. Für mich geht es nicht nur darum, dass den Mädchen grundsätzlich der Schulbesuch gestattet wird. Auch die Qualität ihrer Ausbildung und der Standard der Schulen müssen stimmen. Die Angriffe auf zwölf Mädchenschulen im letzten Herbst zeigen, dass wir mehr Sicherheit im Land brauchen, Sicherheit, die nur die ISAF leisten kann. Jetzt dürfen Frauen zwar arbeiten, aber es gibt nicht genug Arbeitsstellen für sie. überall fehlen Mittel für den Wiederaufbau. Die bislang zugesagten Hilfsgelder entsprechen in etwa der Summe, die eine Woche Krieg in Afghanistan gekostet hat. Wenn wir wirklich Frieden und Demokratie in dieses Land bringen wollen, dann brauchen wir für alle Afghanen einen freien Zugang zu Schulbildung und eine wirksame Gesundheitsversorgung. Die zunehmende Beteiligung der Frauen am öffentlichen Leben ist ein Fortschritt. Aber viel Hilfe brauchen wir noch aus dem Ausland, damit Frauenrechte in Afghanistan auch tatsächlich gelebt und praktiziert werden.

bedrohte Völker: Welche Hilfen benötigt die Menschenrechtskommission?

Sima Samar: Wir haben inzwischen einige Broschüren produziert und vertrieben, die erste Informationen über Menschen- und Frauenrechte vermitteln. Wir hoffen auf finanzielle Unterstützung, um einen unabhängigen Radiosender aufzubauen, mit dem wir auch die Analphabeten in weiter entfernten Landesteilen erreichen können. Auch brauchen wir dringend mehr Geld für unsere Arbeit im Bereich der Menschenrechtserziehung.