23.04.2005

Adivasi und Natur

Immer weniger Wälder

Die Adivasi zerstören die Wälder, hieß es ein Jahrhundert lang unter britischer und anschließend indischer Herrschaft. Das Gegenteil ist der Fall. Die Ureinwohner schützen den Wald, da sie von seinen Ressourcen leben. Schon vor Urzeiten war er Gemeinschaftsbesitz und wurde nach festgelegten Regeln genutzt. Ein Rotationssystem für die Anbauflächen schonte das Land. Das Verbot, Nahrung spendende Bäume zu fällen, sicherte den Baumbestand. Mensch und Natur lebten mehrere Tausend Jahre im Einklang miteinander. Bis die Briten kamen. Sie sahen in den Wäldern Indiens eine lukrative Einkommensquelle. Mit zahlreichen Waldgesetzen weiteten sie ihre Kontrolle über die Wälder aus, den Adivasi wurde das Betreten und die Nutzung bestimmter Gebiete verboten. Wer sich dem widersetzte, wurde strafrechtlich verfolgt.

Mit der Unabhängigkeit Indiens 1947 wurde die Situation der Adivasi immer dramatischer. In einer Resolution wurden die Ansprüche der in und vom Wald lebenden Adivasi dem "Nationalen Interesse" untergeordnet. In der Praxis heißt das: Für Straßen, Staudämme und Industriekomplexe werden große Waldflächen vernichtet und den Adivasi die Waldnutzung untersagt. Aus dem Wald vertrieben, suchen die Ureinwohner Arbeit auf Farmen und werden zu abhängigen Schuldknechten. Das Bewusstsein der indischen Regierung schien sich 1988 zu ändern: Eine neue Resolution sollte den Wald und seine Bewohner schützen. Doch in der Praxis hat sich die Absicht kaum durchgesetzt. Die Ureinwohner werden weiter entsprechend der Kolonialgesetze behandelt.

Naturschutz contra Menschenrechte?

Der Tier- und Naturschutz geht in Indien zumeist auf Kosten der Adivasi. Viele Millionen Dollar fließen in die Schaffung und den Erhalt indischer Nationalparks. Zu deren "Schutz", so heißt es, werden die dort lebenden Gemeinschaften vertrieben. Der indischen Regierung geht es aber neben dem Naturschutz auch um Tourismusprojekte. Die Adivasi werden in den Nationalparks als Schandfleck betrachtet. Nur Stämme wie die Todas, die mit ihrer rot-schwarzen Kleidung besonders exotisch wirken, dürfen bleiben. Sie lassen sich als Touristenattraktion vermarkten. Die weniger "interessanten" Völker werden vertrieben.

Seit 1991 sind mehr als 600 000 Ureinwohner unter anderem aus den Tiger-Reservaten in Kanhau und Bandhavgarh sowie dem Wildpark Biro im Bundesstaat Madhya Pradesh verjagt worden. Die internationale Natur- und Umweltschutzbewegung interessiert sich bislang kaum für die in den Wäldern lebenden Menschen. Die Wildlife Conservation Society in New York meint sogar: "Der einzige Weg, die Nationalparks zu schonen, ist, die Stammesvölker hinauszuwerfen." Um die Vertreibung der Adivasi im Zuge von Wald- und Tierschutzgebieten zu stoppen, hat die Gesellschaft für bedrohte Völker den World Wildlife Fund for Nature (WWF) in Deutschland, der Schweiz und in Indien dazu aufgefordert, sich auch für den Schutz der Adivasi einzusetzen. Mit mindestens gleichem Nachdruck wie für den Schutz der Tiger.