03.11.2005

Acht Gründe, warum wir uns für Frieden für die Kinder im Norden Ugandas einsetzen

Hintergrundpapier

Göttingen
Warum engagiert sich die GfbV für den Frieden im Norden Ugandas?

Kinder und Frauen sind die Hauptleidtragenden des seit 19 Jahren im Norden Ugandas andauernden Bürgerkrieges. Wöchentlich sterben dort nach Erkenntnissen der Vereinten Nationen (UN) rund 1.000 Menschen an den Folgen von Bürgerkrieg, Menschenrechtsverletzungen und mangelnder humanitärer Versorgung. Die UN bezeichnen die Lage in Norduganda als eine der schlimmsten humanitären Katastrophen der Welt. Für Kinder sei es die "Hölle auf Erden", erklären Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen. Da dem Bürgerkrieg auch ethnische Konflikte zugrunde liegen und massiv Menschenrechte verletzt werden, sehen wir es auch als unsere Aufgabe an, uns für Frieden in Norduganda einzusetzen.

Warum gibt es keinen wirksamen Schutz für die Kinder und die übrige Zivilbevölkerung?

Mehr als 1,6 Millionen Menschen, rund 90 Prozent der Bevölkerung in den wichtigsten Regionen Nordugandas, mussten auf Anordnung der Behörden ihre Häuser aufgeben und in Flüchtlingslagern Zuflucht suchen. Der größte Teil der Flüchtlinge sind Frauen und Kinder. Doch auch in den Camps sind sie nicht sicher. So überfallen immer wieder Kämpfer der "Widerstandsarmee Gottes" (Lord’s Resistance Army, LRA) die Lager, um Hilfsgüter zu erbeuten und Kinder zwangsweise für ihre Terrorbewegung zu rekrutieren. Soldaten schützen sie oft nur ungenügend. Oft begehen sie sogar selber Menschenrechtsverletzungen an denen, für deren Sicherheit sie eigentlich verantwortlich sind. So werden Zivilisten von Soldaten oder von regierungsfreundlichen Milizen willkürlich verhaftet, gefoltert, Frauen vergewaltigt und Hilfsgüter unterschlagen. In den Lagern ist nicht einmal die grundlegendste Versorgung der Menschen gewährleistet: Es fehlen Hilfsgüter und Trinkwasser, es gibt weder Schulen noch ausreichend Krankenstationen.

Warum suchen jeden Abend zehntausende Kinder in den Städten Zuflucht vor Gewalt?

Auch in den Dörfern in Norduganda gibt es nachts für die Kinder keine Sicherheit. Da ihre Familien sie nicht schützen können, müssen mehr als 40.000 Kinder aus ländlichen Gebieten jeden Abend in Kilometer langen Fußmärschen in größere Städte flüchten, um dort Zuflucht und Schutz vor Verschleppung durch die LRA zu suchen. Nur die wenigsten finden einen Schlafplatz in Aufnahmestellen, die meisten übernachten auf den Straßen, in Busstationen und Parks. Am nächsten Morgen kehren sie in ihre Heimatdörfer zurück. Die tägliche Massenflucht von zehntausenden Kindern macht deutlich, wie wenig das Schicksal der Zivilbevölkerung die Bürgerkriegsparteien kümmert. Nur ein schneller Frieden kann die Tragödie der Kinder in Norduganda beenden.

Wie können wir den Kindern Nordugandas am wirksamsten helfen?

Viele Hilfsorganisationen bemühen sich, das Leiden der Kinder mit humanitärer Hilfe und besserer Betreuung zu lindern. Auch die Europäische Union unterstützt diese Maßnahmen finanziell. Diese humanitäre Hilfe ist zwar wichtig, doch das Leiden der Kinder kann sie nur lindern, beenden kann sie es nicht. Nur Frieden und die Aufnahme eines glaubwürdigen Dialogs über die Ursachen der Spannungen zwischen dem Norden und Süden des Landes können dauerhaft die humanitäre Tragödie in dem Vielvölkerstaat stoppen.

Viel Unterstützung bekommen die Kinder von den Kirchen. Der Erzbischof der Stadt Gulu, John Adama, übernachtete mit ihnen sogar gemeinsam auf der Straße, um auf ihr Leiden aufmerksam zu machen. Die christlichen Kirchen und auch muslimische Geistliche mahnen immer wieder, dass nur Frieden die humanitäre Katastrophe beenden kann. Seit Jahren bemüht sich eine interreligiöse Friedensinitiative vergeblich um ein Ende des Bürgerkrieges. Vor wenigen Monaten reisten die Bischöfe nach Europa und baten europäische Regierungen um Hilfe bei der Vermittlung eines Friedens. Die Mitglieder der Friedensinitiative werden von den Behörden Ugandas bedrängt und eingeschüchtert. Denn die Regierung in Kampala setzt ausschließlich auf die militärische Karte. Um jeden Preis will sie die LRA militärisch zerschlagen.

Warum ist der Konflikt militärisch nicht zu beenden?

Zwar erklärt die Regierung Ugandas seit Monaten, der Bürgerkrieg sei zu Ende und die LRA stehe kurz vor der Zerschlagung. Doch für die Zivilbevölkerung ist die Lage im Herbst 2005 noch schlimmer geworden. Nach Übergriffen der LRA auf Mitarbeiter von Hilfsorganisationen stellten viele internationale Hilfswerke bis auf weiteres ihre Arbeit in Norduganda ein. Den 1,6 Millionen Menschen in den Flüchtlingslagern droht nun eine weitere Verschlechterung ihrer humanitären Lage, da immer weniger Hilfsgüter in den Camps ankommen und auch die Betreuung durch ausländische Helfer deutlich verringert wurde.

Lange erhielt die LRA von der sudanesischen Armee militärische Unterstützung. In den letzten Jahren operierte sie verstärkt aus dem Südsudan. Doch nachdem dort der Bürgerkrieg im Januar 2005 beendet wurde, verliert sie nun auch dort ihre Rückzugsbasis. Inzwischen hat die sudanesische Regierung der ugandischen Armee erlaubt, die LRA auch auf sudanesischem Territorium zu verfolgen. Doch zerschlagen konnte sie die ugandische Armee trotz dieser Kooperation bisher nicht. Mal weicht die Untergrundbewegung in den Kongo, mal in den Nordosten Ugandas aus.

Rund 80 Prozent der LRA-Kämpfer sind als Kindersoldaten zwangsrekrutiert und zum Töten abgerichtet worden. Niemand weiß genau, über wie viele Kämpfer die LRA heute noch verfügt. Ungeachtet jüngster militärischer Niederlagen und eines für sie ungünstigen politischen Umfeldes ist die LRA mit ihren kleinen Kommandos noch immer sehr flexibel und verunsichert die gesamte Region. Selbst wenn es gelingen sollte, sie militärisch zu zerschlagen, wäre der Frieden langfristig nur gesichert, wenn die ugandische Regierung auch die Ursachen der Revolte im Norden Ugandas beseitigen würde. Doch von der Unzufriedenheit der Menschen dort will die Regierung in Kampala nichts wissen.

Warum geht der Bürgerkrieg auch Europa etwas an?

Die Ursachen des Konflikts in Norduganda reichen weit in die britische Kolonialzeit zurück. Damals wurde mit einer Politik des "Teilens und Herrschens" der Grundstein für spätere Auseinandersetzungen zwischen den ethnischen Gemeinschaften im Norden und Süden des Vielvölkerstaates gelegt. Während die Acholi und andere Völker im Norden einen Großteil der Armee stellten, hatten Angehörige der ethnischen Gemeinschaften im Süden mehr Einfluss in Wirtschaft und Politik. Nach der Unabhängigkeit Ugandas setzten die Regierungen diese fatale Politik weiter fort, so dass immer mehr Spannungen zwischen den Völkern des Südens und Nordens entstanden. Die Acholi fühlten sich immer stärker benachteiligt und lehnten sich daher in den 80er Jahren gegen den Süden Ugandas auf.

Heute verstärkt die Regierung in Kampala noch die Ethnisierung des Konflikts, indem sie Acholi politisch isoliert und wirtschaftlich benachteiligt und außerdem unter kleineren Völkern Milizen aufbaut, die gemeinsam mit der ugandischen Armee die LRA bekämpfen sollen.

Genoss die LRA in Norduganda anfangs eine gewisse Beliebtheit, so wird sie inzwischen aufgrund ihres Terrors auch von einer breiten Mehrheit der Acholi und anderer benachbarter Völker abgelehnt. Trotzdem behaupten führende ugandische Politiker öffentlich, alle Acholi seien LRA-Unterstützer, und gießen so Öl ins Feuer. Als Politiker dazu aufriefen, alle Acholi im Alter von mehr als 18 Jahren aufgrund ihrer vermeintlichen Sympathien für die LRA zu töten, reagierten Acholi mit dem Vorwurf, an ihnen solle Völkermord verübt werden. Die Regierung Ugandas jedoch schaut tatenlos zu, wie die Spannungen zwischen Nord und Süd immer mehr zunehmen.

Warum ist die LRA mit internationalen Haftbefehlen nicht zu stoppen?

Die LRA verbreitet mit Überfällen und Morden Terror und Schrecken unter der Zivilbevölkerung. Systematisch hat sie ihre Kindersoldaten zum Töten abgerichtet. Die verschleppten Kinder müssen nicht nur "im Namen des Herrn" plündern, brandschatzen und morden. Oft müssen sie ihren Kommandeuren auch als Sexsklaven dienen. Das konfuse Programm der LRA, das sich an der Verwirklichung der "Zehn Gebote" orientiert, überzeugt die Menschen in Norduganda heute nicht mehr.

Die Regierung in Kampala bezeichnet die LRA als terroristische Organisation und überzeugte inzwischen auch die US-Regierung davon, die LRA als Terrororganisation im Sinne des 11. September 2001 zu registrieren. Doch obwohl die LRA schlimmste Menschenrechtsverletzungen begeht, ist diese Einstufung nicht gerechtfertigt. Denn die LRA hat keinerlei Bezug zum muslimischen Terrorismus. Die US-Regierung leistete dem Wunsch aus Kamapala nur deshalb Folge, weil sie ist angesichts von Terroranschlägen muslimischer Extremisten im benachbarten Kenia und Tansania sowie von Rückzugsplänen muslimischer Terroristen nach Somalia an einem Ausbau ihrer Sicherheitspartnerschaft mit Uganda interessiert ist.

Auf Betreiben der ugandischen Regierung ermittelt auch der Internationale Strafgerichtshof gegen die LRA. Im Oktober 2005 wurden Haftbefehle gegen den LRA-Führer Joseph Kony und vier führende LRA-Kommandeure ausgestellt. Während einige Menschenrechtsorganisationen dies als wichtigen Schritt zur Beendigung der Straflosigkeit würdigten, wurde im Norden Ugandas auch viel Kritik laut. Denn die Haftbefehle führten nach Einschätzung der ehemaligen ugandischen Ministerin, Betty Bigombe, zum Scheitern des Friedensprozesses, um den sich die Vermittlerin seit mehreren Jahren bemüht hatte.

Für die 1,6 Millionen Flüchtlinge und die Angehörigen der mehreren zehntausend Bürgerkriegsopfer geht Frieden vor Gerechtigkeit: Als allererstes müssen die enormen Leiden der Zivilbevölkerung beendet werden.

Dem Internationalen Strafgerichtshof werden die Menschen im Norden des Landes vor, Menschenrechtsverletzungen der ugandischen Armee nicht mit der gleichen Konsequenz strafrechtlich zu verfolgen. So verwahrte sich die ugandische Regierung gegen jede internationale Strafverfolgung von Verantwortlichen der ugandischen Armee und befreundeter Milizen und wies alle dementsprechenden Forderungen zurück. Für die Ahndung von Straftaten, die nicht von der LRA begangen worden seien, sei die ugandische Justiz zuständig. Doch die meisten Soldaten und Milizionäre bleiben straflos, da die Behörden kein Interesse an einer Ahndung ihrer Übergriffe haben.

Warum wird Norduganda ohne internationale Hilfe keinen Frieden finden?

Weder die ugandische Armee noch die Regierung in Kampala noch die LRA bemühen sich zur Zeit ernsthaft um Frieden für Norduganda. Die Regierung setzt ausschließlich auf eine militärische Lösung des Konflikts, während die von allen Seiten bedrängte LRA mit Terrorüberfällen deutlich machen will, dass sie militärisch noch nicht zerschlagen ist. Nur internationaler Druck wird beide Konfliktparteien bewegen können, ernsthafte Friedensverhandlungen aufzunehmen.

Trotz des enormen Ausmaßes der humanitären Katastrophe haben sich weder der Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen noch die Europäische Union gezielt um einen Frieden für Norduganda bemüht. Es gab zwar Erklärungen, wie betroffen sie vom Schicksal der Zivilbevölkerung sind, auch humanitäre Hilfe wurde geleistet, doch sonst haben die meisten westlichen Staaten sich nur wenig im Norden Ugandas engagiert. Während dort der Ruf nach einer Internationalen Friedenstruppe immer lauter wird, will davon sowohl in Kampala als auch in den Hauptstädten Europas und in den USA niemand etwas wissen. Obwohl der Krieg schon lange die Beziehungen zu den Nachbarstaaten Sudan und Kongo belastet, fürchtet Ugandas Regierung eine Internationalisierung des Konflikts und verbittet sich jede internationale Einmischung. Die internationale Staatengemeinschaft darf nicht länger tatenlos zusehen, wie die Zivilbevölkerung leidet und auch von den ugandischen Sicherheitskräften nicht geschützt wird. Sie muss ihren Einfluss gezielt nutzen, um die Konfliktparteien zu einem Friedensschluss zu drängen.

Eine vergleichbare Situation bestand im Jahr 2004 im Südsudan. Auch dort zeigten beide Konfliktparteien – die sudanesische Regierung und die südsudanesische Widerstandsbewegung SPLA – wenig Interesse an einer Friedensregelung. Es ist dem Druck der USA und anderer Staaten zuzuschreiben, dass im Januar 2005 schließlich ein Friedenspakt für den Südsudan geschlossen wurde.

Entscheidend wird das Verhalten der Geberländer Ugandas sein, die zu einem großen Teil der Europäischen Union angehören. Daher wenden wir uns mit unserer Menschenrechtskampagne an die österreichische Außenministerin, Dr. Ursula Plassnik, die zwischen Januar und Juli 2006 den Rat der europäischen Außenminister leiten wird. Dringend appellieren wir an sie, eine Friedensinitiative der EU für Norduganda zu starten. Ziel sollte es dabei sein, nicht nur beide Konfliktparteien an einem neutralen Ort an einen Verhandlungstisch zu bringen, sondern auch die Ursachen der anhaltenden Spannungen zwischen den Völkern im Norden und Süden Ugandas zu erörtern. Außerdem sollten die EU-Staaten ihren Einfluss im Weltsicherheitsrat nutzen, um die Vereinten Nationen zu einem glaubwürdigen Engagement für Frieden in Norduganda zu drängen.