08.07.2005

8106 Namen der Toten von Srebrenica auf 60 Meter langem Transparent vor der Neuen Wache in Berlin

10. Jahrestag des Massakers von Srebrenica (11.07.1995)

Zehn Jahre nach dem Massenmord in der ostbosnischen Drina-Stadt Srebrenica ziehen heute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gesellschaft für bedrohte Völker ((GfbV) und in Deutschland lebende Bosnier mit einem 60 Meter langen Transparent mit den bisher bekannten 8106 Namen und Geburtsdaten der Ermordeten vom Brandenburger Tor zur Neuen Wache in Berlin. Dort werden nach kurzen Ansprachen einer Repräsentantin der Hinterbliebenen, des früheren internationalen Streitschlichters für Bosnien und Bundesministers a.D., Dr. Christian Schwarz-Schillling, sowie des Präsidenten der GfbV International, Tilman Zülch, die Namen der muslimisch-bosnischen Opfer verlesen.

 

"Wir erinnern mit unserer Aktion vor der Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland daran, dass Europa Mitverantwortung für den furchtbaren Völkermord an etwa 200.000 Bosniern trägt", sagt Zülch. "Während Großbritannien, Frankreich und Russland damals die serbische Aggression gegen die multiethnische Republik Bosnien-Herzegowina massiv unterstützt haben, hatte die große Mehrheit der deutschen und europäischen Politiker und Parlamentarier den Massentötungen und Massenvergewaltigungen, der Einrichtung von Konzentrations- und Vergewaltigungslagern, der jahrelangen Beschießung Sarajevos tatenlos zugesehen."

 

Schwarz-Schilling betont: "All die feierlichen Schwüre, die seit 1945 insbesondere von der westlichen Staatengemeinschaft abgegeben worden sind, dass Völkermord nie wieder geschehen darf und wir rechtzeitig handeln müssen, sind gebrochen worden. Deswegen ist auch die Hilfe gegenüber Srebrenica so spärlich ausgefallen, weil sich keiner richtiig verantwortlich fühlt.

 

Die GfbV ist die einzige westliche Nichtregierungsorganisation, die ein Büro in Srebrenica unterhält. Diese Stadt ist heute von den Regierungen der Welt vergessen. Die Menschen sind verelendet, die 4.500 Rückkehrer – meist Witwen mit ihren Kindern in 59 Dörfern - kämpfen täglich um ihr Überleben. Für sie initiiert die GfbV Hilfsaktionen und unterstützt die Bedürftigsten unter ihnen mit Saatgut und Vieh. Das einzige Krankenhaus der Stadt ist geschlossen, Industrie und Wirtschaft liegen darnieder.

 

Die GfbV fordert, dass die europäische und westliche Gemeinschaft:

 

  • eine internationale Hilfs- und Aufbauaktion für Srebrenica unternimmt
  • einen Sonderstatus für die Stadt und den Bezirk Srebrenica durchsetzt, der die Stadt der bosnischen Zentralregierung direkt unterstellt
  • die Festnahme aller 892 an den Massenerschießungen beteiligten mutmaßlichen Kriegsverbrecher erzwingt, unter ihnen Radovan Karadzic und Ratko Mladic
  • .

     

    Das 60 Meter lange Transparent mit den 8106 Namen der Ermordeten wird am 11. Juli 2005 in der Gedenkstätte Potocari bei Srebrenica während der dortigen Trauerfeierlichkeiten aufgespannt. Von den 6.500 aus 41 Massengräbern exhumierten Opfern wurden bisher 1.327 identifiziert und in der Gedenkstätte beigesetzt. Am 11. Juli werden dort 600 weitere Opfer bestattet.

     

    Zum Hintergrund: Die Massenhinrichtungen von Srebrenica gelten als der schlimmste Massenmord auf europäischem Boden seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Am 11. Juli 1995 marschierten serbische Truppen in der damaligen UN-Schutzzone ein. Unter den Augen der dort stationierten niederländischen Blauhelme wurden Männer und Knaben von Frauen und Kleinkindern getrennt und erschossen. Ihre Leichen wurden in Massengräber geworfen. Um Spuren zu verwischen, wurden sie später oft mit Bulldozern wieder ausgegraben und anderswo verscharrt.

     

    Die bosnische GfbV-Sektion mit Sitz in Sarajevo hilft den Überlebenden und Rückkehrern, unterstützt Versöhnungsinitiativen, recherchiert und dokumentiert die Schicksale der Opfer von Verbrechen und informiert Journalisten, Politiker und Hilfswerke. So gibt die Menschenrechtsorganisationen den Schwächsten und Hilflosesten eine Stimme.

     

    Zülch ist Herausgeber des ersten Bandes über den Völkermord in Bosnien (1992) und hat seither mit einer Reihe von Dokumentationen und Beiträgen über den Genozid und die Verbrechen in Srebrenica publiziert und auch mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zusammengearbeitet.