19.05.2009

74 Opferverbände appellieren an US-Vizepräsident Biden

Bosnien:


Der folgende Appell im Namen von 74 bosnischen Opferverbänden wird dem amerikanischen Vize-Präsidenten Joseph Robinette Biden jr. am Dienstag in Sarajevo anlässlich seines Gesprächs mit Vertreterinnen der Mütterbewegung von Srebrenica übergeben. Unter seinen Gesprächspartnerinnen ist die Leiterin des Büros der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Srebrenica, Hatidza Mehmedovic.

 

APPELL an den Vize-Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika

Herrn Joseph Biden

 

Sehr geehrter Herr Vize-Präsident,

 

Sie haben nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass die Vereinigten Staaten von Amerika 1995 die militärische Intervention der NATO zur Beendigung des Bosnien-Krieges und des Genozids durchgesetzt haben. Die Öffentlichkeit in Europa, aber auch in der islamischen Welt, hat damals erleichtert aufgeatmet, als Ihr Land so konsequent gehandelt hat.

 

Weit über 100.000 bosnische Zivilisten, zu über 90 % muslimische Bosnier, wurden Opfer des Völkermords. Vergewaltigungslager, Konzentrationslager, die Einschließung und ständige Beschießung schutzloser bosnischer Städte, die Zerstörung von 1.189 Moscheen, aber auch zahlreichen katholischen Kirchen, all das haben Europas Regierungen über vier Jahre lang tatenlos hingenommen.

 

Unsere Menschenrechtsorganisation, die Gesellschaft für bedrohte Völker, hat wohl mehr als jede andere Nichtregierungsorganisation unentwegt ihre Stimme erhoben und ihre Forderungen - darunter die militärische Intervention - mit ungezählten Initiativen unterstrichen.

 

Dabei werden wir immer die Unterstützung von Persönlichkeiten wie Simon Wiesenthal, Marek Edelman und Roy Gutman dankbar in Erinnerung halten.

 

Auch andere jüdische Persönlichkeiten, unter ihnen Susan Sontag, Alain Finkielkraut, André Glucksmann, Bernard-Henri Lévy, Milan Stern, Marcel Ophüls, Daniel Cohn-Bendit, Sharon Silber, David Kamphi und viele andere erinnerten damals an die Schrecken des Holocaust und forderten ein Ende der Verbrechen in Bosnien.

 

Dem amerikanischen Befreiungsakt folgte die Enttäuschung: Das Abkommen von Dayton. Ein Land, das in den 1.000 Jahren seiner Geschichte keine Teilung kannte, wurde weitgehend entsprechend des Frontverlaufs in zwei de facto-Staaten geteilt und so zur Hälfte den Initiatoren des Genozids überlassen.

 

Das Bosnien-Problem wurde bis heute nicht gelöst. 2,2 Millionen aus ihren Häusern und ihren Wohnorten vertriebene Bosnier aller ethnischen und religiösen Gemeinschaften erlebten Dayton als weitere Katastrophe. Etwa die Hälfte von ihnen konnte nicht in ihre Heimatorte zurückkehren. Sie sind bis heute über die Länder Europas, die USA, Kanada und Australien verstreut oder können - wenn sie nach Bosnien zurückgekehrt sind - meist nicht in ihren Heimatorten leben.

 

De facto existieren heute in Bosnien zwei staatsähnliche Gebilde - die so genannte "Bosnisch-Kroatische Förderation" und die so genannte "Republika Srpska". Die europäischen Staaten haben sich bis heute unfähig gezeigt, Bosnien-Herzegowina zu einem gemeinsamen funktionsfähigen Staat zu machen, in dem Kriegsverbrecher bestraft und die Opfer von Genozid und Verbrechen Gerechtigkeit erfahren.

 

Deshalb appellieren wir im Namen der überlebenden Opfer an die Vereinigten Staaten und an Sie, verehrter Herr Vize-Präsident und Preisträger des "Awards against Genocide" der Mütterbewegung Srebrenicas, dafür einzutreten, einen US-Sonderbeauftragten für Bosnien-Herzegowina zu ernennen, der sich dafür einsetzt, dass:

 

1. endlich die zentralstaatlichen Strukturen für eine Funktionsfähigkeit Bosnien-Herzegowinas geschaffen werden.

 

2. eine einheitliche multiethnische und multireligiöse Polizei auf dem Gesamtgebiet von Bosnien-Herzegowina als Garant der Sicherheit von Leben und Eigentum der Rückkehrer aller Nationalitäten geschaffen wird.

 

3. die so genannte "Entitätswahl" mit ethnischen Blöcken zu Gunsten demokratischer Wahlen im nationalen Parlament Bosnien-Herzegowinas abgeschafft wird, damit nicht länger lebenswichtige Gesetzesänderungen blockiert werden.

 

4. eine gezielte finanzielle Unterstützung von Wiederaufbauprogrammen Bosnien-Herzegowinas initiiert wird und die Aufnahme dieses kriegszerstörten Landes in die Europäische Union beschleunigt wird.

 

5. weiter stärkerer Druck auf Serbien ausgeübt wird, damit die Auslieferung des mutmaßlichen Hauptkriegsverbrechers Ratko Mladic an das ICTY in Den Haag zustande kommt.

 

6. das nationale staatliche Gericht Bosnien-Herzegowinas zur Ahndung der Kriegsverbrechen in seiner Funktion gestärkt wird.

 

7. der Bezirk/die Opstina Srebrenica nach dem wegweisenden Beispiel des Distriktes Brcko einen politischen Sonderstatus und gezielte ökonomische Förderung erhält.

 

Sehr geehrter Herr Vize-Präsident, wir danken für Ihre Aufmerksamkeit und all das, was Sie für Bosnien-Herzegowina geleistet haben und grüßen Sie herzlich,

 

Tilman Zülch, Präsident der GfbV-International und Preisträger des "Srebrenica Award Against Genocide" (Göttingen) Sharon Silber, Jews against Genocide, New Yor kJill Savitt, Genocide Prevention Project, New York"

 

Liste der unterzeichnenden Opferverbände, in deren Namen dieser Appell überreicht wird:

 

1."Srebrenica-Mütter" - Srebrenica, 2. "Bewegung der Mütter aus den Enklaven Srebrenica und Zepa" - Sarajevo, 3."Frauen aus Srebrenica" - Tuzla, 4. "Forum der Bürger von Srebrenica" - Srebrenica / Tuzla, 5. "Srebrenica 99" - Tuzla, 6. "Klub der Intellektuellen aus Srebrenica" - Srebrenica, 7."Gesellschaft für Prävention von Genozid" - Srebrenica, 8. "Studentenassoziation" - Srebrenica, 9. Frauenverein "Bosfam" - Srebrenica / Tuzla, 10. Verband ehemaliger Gefangener in Konzentrationslagern in BiH - Sarajevo, 11. Frauensektion beim Verband ehemaliger Gefangener - Kanton Sarajevo, 12. "Frauen - Opfer des Krieges" - Sarajevo, 13. "Izvor" - Verein für das Suchen nach Vermissten aus Prijedor, 14. "Mit dem Herzen zum Frieden" - Kozarac, Prijedor, 15. "Rückkehr", Verein der Rückkehrer nach Bijeljina, 16.Verein der Familien der Vermissten "Mostovi" - Bosanska Krupa, 17. "Verein für die Suche nach Vermissten" - Brcko, 18. "Lagerinsassenverein" - Brcko, 19. "Verein der Familien der gefangenen und vermissten Personen aus der Gemeinde nach Bosnien zurückgekehrt sind - meist nicht in ihren Heimatorten leben.

 

De facto existieren heute in Bosnien zwei staatsähnliche Gebilde - die so genannte "Bosnisch-Kroatische Förderation" und die so genannte "Republika Srpska". Die europäischen Staaten haben sich bis heute unfähig gezeigt, Bosnien-Herzegowina zu einem gemeinsamen funktionsfähigen Staat zu machen, in dem Kriegsverbrecher bestraft und die Opfer von Genozid und Verbrechen Gerechtigkeit erfahren.

 

Deshalb appellieren wir im Namen der überlebenden Opfer an die Vereinigten Staaten und an Sie, verehrter Herr Vize-Präsident und Preisträger des "Awards against Genocide" der Mütterbewegung Srebrenicas, dafür einzutreten, einen US-Sonderbeauftragten für Bosnien-Herzegowina zu ernennen, der sich dafür einsetzt, dass:

 

1. endlich die zentralstaatlichen Strukturen für eine Funktionsfähigkeit Bosnien-Herzegowinas geschaffen werden.

 

2. eine einheitliche multiethnische und multireligiöse Polizei auf dem Gesamtgebiet von Bosnien-Herzegowina als Garant der Sicherheit von Leben und Eigentum der Rückkehrer aller Nationalitäten geschaffen wird.