23.05.2006

400.000 Tote und mindestens zwei Millionen Vertriebene

Völkermord in Darfur

Zum dritten Mal führt das sudanesische Militärregime unter General Omar Hassan Al Bashir Krieg gegen die eigene schwarzafrikanische Bevölkerung. Nach dem Genozid im Südsudan (1955 bis 2003 mit fast 2,5 Millionen Toten) und in den Nuba-Bergen (1987 bis 2003 mit etwa 500.000 Toten) geht Khartum nun seit 2003 mit Hilfe der arabischen Janjaweed-Milizen gegen die muslimischen Schwarzafrikaner im westsudanesischen Darfur vor, die mehrheitlich dem Volk der Fur angehören. Dieser Völkermord hat bereits bis zu 400.000 Menschenleben gefordert, mehr als zwei Millionen Menschen wurden vertrieben. UN-Generalsekretär Kofi Annan bezeichnet diese Tragödie als die gegenwärtig größte humanitäre Krise weltweit.

Was die Welt nicht wahrhaben will: Die gezielten Übergriffen von Janjaweed-Milizen gegen die Zivilbevölkerung in Darfur reißen nicht ab. Zugleich wird die Sicherheitslage in Darfur immer schwieriger, weil es immer neue Abspaltungen von Darfur-Widerstandsbewegungen gibt und auch Banditen versuchen, von der Rechtlosigkeit zu profitieren. Für die Zivilbevölkerung hat dies katastrophale Folgen. Angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage müssen sich immer mehr internationale Helfer zurückziehen, so dass sich die humanitäre Versorgung der Zivilbevölkerung verschlechtert. Erschwerend kommt noch die bevorstehende Regenzeit hinzu, die in wenigen Wochen viele Pisten unpassierbar machen wird. Viele Menschen können auf dem Landweg daher nur noch in diesen Wochen erreicht werden. Doch angesichts der katastrophalen Sicherheitslage, für die vor allem die Janjaweed-Milizen mit ihren Überfällen verantwortlich sind, müssen viele der humanitären Einsätze abgesagt werden. Immer mehr Menschen fliehen deshalb über die Grenze in den Tschad, wo in den vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR betreuten zwölf Lagern schon Ende Januar 2006 mehr als 200.000 Menschen lebten. Und täglich werden es mehr. Die Spannungen zwischen dem Sudan und dem Tschad nehmen zu. Schon warnen Beobachter vor einem Flächenbrand, der die Krise über den Sudan hinaus tragen könnte.

Armee unterstützt Milizenterror gegen Zivilisten

Aus allen Teilen Darfurs werden immer neue Überfälle der Janjaweed-Milizen auf Bewohner von Dörfern, Städten und Flüchtlingslagern gemeldet. Sie hinterlassen verbrannte Erde und vergiftete Brunnen. So werden ganze Landstriche unbewohnbar gemacht und Überlebende zur Flucht gezwungen. Oft werden die Milizen ganz offen von Regierungstruppen unterstützt, obwohl Khartum dies abstreitet.

So kam es UN-Angaben zufolge Mitte Februar zu Angriffen von sudanesischen Regierungstruppen und Milizen auf die Orte Likalik und Al Amin in Nord-Darfur. Dabei wurde in Likalik die für die Bauern lebenswichtige Wasserpumpe zerstört und Vieh getötet, das sich an der Tränke befand. In Al Amin wurden nach der Erstürmung des Dorfplatzes die Hütten niedergebrannt. Auch nach der Unterzeichnung des Darfur-Friedensabkommens von Abuja am 5. Mai 2006 war jede Reise zwischen den Städten Nyala und El Fasher noch immer lebensgefährlich. Mehrfach raubten Janjaweed-Milizen Reisende aus, entführten und vergewaltigten Frauen. Am 15. Mai 2006 griffen Janjaweed zwei Dörfer in Nord-Darfur an, einen Tag später wurde eine Siedlung in der Nähe der Stadt Kutum überfallen. Auch in Süd-Darfur gab es neue Angriffe auf Dörfer seit der Unterzeichnung des Abkommens.

Die Janjaweed werden von Khartum auch offensichtlich gedeckt, Verbrechen verschleiert. Beispielsweise wird die Ebene südwestlich der Stadt Kabkabiya in Nord-Darfur von der sudanesischen Regierung als sicher bezeichnet. Tatsächlich steht sie jedoch unter Kontrolle der Janjaweed-Einheiten. Konnten zahllose Flüchtlinge aus den Dörfern der Umgebung – unter ihnen 40.000 Fur – seit Beginn des Völkermords 2003 in der Stadt Schutz suchen, müssen noch rund 4000 Menschen in 20 Dörfern ausharren. Sie werden von den Janjaweed unter Todesandrohung daran gehindert, ebenfalls in die Stadt zu fliehen. Monat für Monat müssen sie Schutzgeld und einen Großteil ihrer Ernte abgeben. Auch wenn sie alle Forderungen erfüllen, sind die Menschen nicht sicher: "Bewaffnete kommen nachts in die Dörfer, um zu plündern", so ein Augenzeuge zur Sudan Tribune im Februar 2006. "Manchmal befehlen sie den Männern, fortzugehen und verbringen den Rest der Nacht mit deren Frauen. Hier herrscht extreme Unterdrückung, Einschüchterung und Gewalt. Die Menschen leben in offenen Gefängnissen."

Überprüft werden von einer Untersuchungsmission der AU derzeit auch Massakervorwürfe gegen sudanesische Regierungstruppen in dem Ort Tawilla in Nord-Darfur, der seit Beginn des Genozid mehrfach Schauplatz von Kämpfen war. Im September 2005 eröffneten 30 Regierungssoldaten das Feuer gegen unbewaffnete Gläubige, die zum Mittagsgebet in die Moschee eilten. Vier Menschen kamen zu Tode, 24 weitere wurden verletzt. Laut AU-Bericht wurden 30 Häuser willkürlich zerstört und Marktstände niedergebrannt. Ein Oberst der sudanesischen Armee begründete den Angriff gegen die Zivilisten mit einer vorangegangenen Attacke sudanesischer Rebellen gegen die Armee, die mit Granaten bewaffnet in der Moschee verschwunden seien. Zeugen beobachteten, dass die sudanesischen Sicherheitskräfte mit schweren Waffen ins Innere der Moschee feuerten.

Flüchtlinge werden ausgeraubt

Auch in Süd-Darfur ist die Situation extrem unsicher und es gibt immer mehr Flüchtlinge. So ist die Stadt Gereida von einem Gürtel von Flüchtlingsunterkünften umgeben. Im November 2005 kam es dort zu Kämpfen zwischen Fallata-Janjaweed und Einheiten der Massalit, die von den Janjaweed bekämpft werden, weil sie die Sudan Liberation Army SLA unterstützen. Schon zuvor lebten etwa 50.000 Flüchtlinge in der Umgebung der Stadt. Inzwischen hat sich ihre Zahl infolge immer neuer bewaffneter Auseinandersetzungen dem Internationalen Komitees vom Roten Kreuz IKRK zufolge bis Ende März 2006 auf 90.000 fast verdoppelt.

In Shaeria in Süd-Darfur wurden die Zaghawa Opfer der Birgit-Janjaweed. "Die Milizen greifen Zaghawa-Viertel an und belästigen oder töten die Zivilisten, brennen Häuser nieder, rauben das Vieh und verwehren den Menschen den Zugang zu den lebenswichtigen Wasserstellen", berichtet ein Soldat der Mission der Afrikanischen Union (AU) im Sudan AMIS. "Die AU patrouilliert dort nur alle zwei Wochen und kann die Menschen nicht schützen. Die Milizen kommen am Tag und schleppen für alle sichtbar das Hab und Gut der Flüchtlinge aus deren Lagern in die Stadt." Anfang 2006 verschärfte sich die Lage in Shaeria infolge von Gefechten der Regierungstruppen und Milizen mit Einheiten der SLA weiter, so dass inzwischen fast alle der einst 32.000 Einwohner aus der Stadt geflohen sind, manche sogar 100 km weit durch die Wüste bis in die Zentren von Süd-Darfur (Nyak) und Nord-Darfur (El Fasher). Aus Golo und Daya im Westen Darfurs flüchteten nach Kämpfen in der Region 70.000 Menschen.

Warnung vor Gewalteskalation in Flüchtlingscamps

Die 1,8 Millionen Flüchtlinge, die in Lagern und Städten in Darfur Zuflucht suchen mussten, leben in ständiger Angst. Immer wieder werden Frauen, die die Lager zum Brennholzsammeln verlassen, angegriffen und vergewaltigt. Als die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" im Frühjahr 2005 in einem Report die katastrophale Zunahme von Vergewaltigungen in der Nähe von Flüchtlingscamps dokumentierte, strengten die sudanesischen Behörden Strafverfahren gegen die Helfer an und drohten ihnen mit Ausweisung. Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Antonio Guterres, warnte schon Ende Januar 2006 vor einer weiteren Zunahme von Gewalt und Straflosigkeit innerhalb der Lager. Denn mancherorts wurden Milizionäre, die die Menschen vertrieben hatten, später von den sudanesischen Behörden offiziell als ihre Bewacher im Lager angestellt. Und selbst im Tschad sind die mehr als 200.000 Darfur-Flüchtlinge nicht sicher, weil der Sudan seinen Krieg in den letzten Monaten auf den Osten des Nachbarlandes ausgeweitet hat.