03.11.2009

255 Göttinger Familie auseinandergerissen und untergetaucht

Familienvater bei Behördentermin verhaftet und abtransportiert

Ahnungslos ging Semsi Rama (41) im Frühsommer 2009 zu einem Termin bei der Göttinger Ausländerbehörde. Er wollte eine Verlängerung der Duldung für seine Familie erwirken, doch ein Mitarbeiter rief plötzlich die Polizei. Der Familienvater von vier Söhnen wurde ohne Vorwarnung verhaftet und abtransportiert. Einige Tage später wurde er in den Kosovo abgeschoben. Kurz zuvor konnte der GfbV-Vorsitzende Tilman Zülch ihn noch in der Abschiebehaft besuchen. Unter Tränen erzählter Rama ihm, wie verzweifelt er sei und dass er nicht wisse, was nun aus seiner Familie werden solle.

Semsi Rama lebte bereits seit 17 Jahren in Deutschland und hatte hier eine neue Heimat gefunden. 1994 war er als Asylberechtigter anerkannt worden. Seine Familie integrierte sich hervorragend in Göttingen und der Vater bemühte sich intensiv um Arbeit. Alles schien sich zum Guten zu wenden.

Doch 2007 änderte sich alles: Aus Angst vor Diskriminierung hatte sich die Familie in den Jahren zuvor als Albaner bezeichnet und erst später ihre Zugehörigkeit zur Gruppe der Roma preisgegeben. Als eine Ausweisung drohend näher rückte, floh die Familie nach Frankreich, wo sie verhaftet und in Begleitung von 13 Polizisten zurück nach Deutschland gebracht wurde. Alle Eilanträge gegen eine Abschiebung wurden mit der Begründung abgelehnt, die Roma-Zugehörigkeit der Antragsteller sei nicht ausreichend glaubhaft gemacht worden. Seitens der Stadt Göttingen wurde ihnen außerdem mangelhafte Integration vorgeworfen. Dies jedoch widerlegt eine Lehrerin der Kinder: Der zweitälteste Sohn Edison beispielsweise erbrachte eine befriedigende Leistung im Deutschunterricht und zufriedenstellende Ergebnisse auch in allen anderen Fächern.

Mit der unvorhergesehenen Abschiebung des Vaters brach für die Familie eine Welt zusammen. Er hat nun fünf Jahre striktes Einreiseverbot nach Deutschland. Sowohl seine beiden ältesten Söhne Erduan (15) und Edison (14) sowie die Zwillinge Almedin und Eldin (12) sind in Deutschland geboren und sprechen deutsch als Muttersprache. Um der drohenden Abschiebung in ein ihnen völlig fremdes Land zu entgehen, tauchte die Mutter Hajrija Rama (37) mit ihren vier Kindern von einem Tag auf den anderen unter. Seitdem ist der Kontakt zur Familie abgebrochen.

Mit Betroffenheit reagierten auch die Mitschüler und Lehrer der Rama-Kinder auf ihr plötzliches Verschwinden. Die Lehrer der sechsten Klasse an der Heinrich-Heine-Schule in Göttingen, die Edison Rama besucht hatte, wandten sich deshalb an die GfbV. Ratlos, aber voller Tatendrang baten sie uns um Unterstützung. Gemeinsam mit ihnen entwickelten wir die Idee, im Rahmen unserer Flüchtlingskampagne einen Videoclip über das Schicksal von Edison und seiner Familie, den Schulalltag ohne ihn, zu drehen und diesen im Internet zu veröffentlichen.

Ein Film-Team der GfbV traf sich daraufhin mit zwei sechsten Klassen der Hauptschule, um gemeinsam mit den Kindern über die Praxis der Abschiebung zu diskutieren und ein Drehbuch für den Videoclip zu entwerfen. Die Schüler reagierten mit großer Betroffenheit und Unverständnis auf das Unglück ihres Klassenkameraden. "Wir haben unseren Fußballstürmer verloren und jetzt werden wir jedes Spiel verlieren!", drückte ein Mitschüler sein Entsetzen aus. Ein anderer sagt traurig in die Kamera, "Wir vermissen dich, Edison. Dein Stuhl wartet auf dich!"