20.12.2007

1. bis 21. Fastentag

Tagebucheinträge bis 17.12. 2007

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Brief an die Bevölkerung des Nordostens von Brasilien

 

Liebe Brüder und Schwestern aus dem Nordosten, aus Ceará, Rio Grande do Norte, Paraíba und Pernambuco,

Pax et Bonum!

Als ich mein elftätiges Fasten in Cabrobó (Pernambuco) vor zwei Jahren beendet habe, war ich guten Glaubens, dass die Bundesregierung unsere gemeinsam unterzeichnete Vereinbarung einhalten würde. Dieses Abkommen setzte fest, eine umfassende, transparente landesweite Debatte mit der Bevölkerung über die nachhaltige Entwicklung der semi-ariden Region und des São Francisco Tals durchzuführen. Ich habe darauf vertraut, dass in einer ehrlichen Debatte die wirklichen Bedürfnisse und Potentiale der semiariden Region aufgezeigt werden könnten. Damit würde deutlich, dass die Flussumleitung weder notwendig noch dienlich für die Bevölkerung und den Fluss ist. Die reichhaltigen Wasserreserven sprechen für sich. Die existierenden Alternativvorschläge würden sich durchsetzen, wie die Bauvorhaben des Atlas des Nordostens und die Methoden zur Regenwassernutzung und zu alternativen Anbaumethoden - entwickelt vom NGO-Netzwerk der semiariden Region (ASA).

Die Regierung hat ihr Versprechen nicht eingehalten. Sie hat den begonnenen Dialogprozess abgebrochen nachdem die Wahlen gewonnen waren und hat das Militär damit beauftragt, die Bauarbeiten der Flussumleitung zu beginnen. Soziale Bewegungen und die zivilgesell-schaftlichen Organisationen verstärkten ihre Mobilisierungen und Proteste. Aber die Regierung hat sich taub gestellt. Somit blieb mir keine andere Alternative, als mein Fasten und Beten wieder aufzunehmen. So habe ich es versprochen, würde das Abkommen mit der Regierung nicht eingehalten. Ich habe dafür die Franziskuskapelle in Sobradinho – Bahia gewählt, die am Ufer des vor 30 Jahren gebauten Sobradinho Staussees liegt. Dort sieht man, der Rio São Francisco ist ein Kranker im Endstadium.

Ich weiss, dass meine Geste, bei vielen von Euch, auf Befremdung und Unverständnis stoßen wird. Ich werfe Euch das nicht vor. Seit Generationen wird Euch gesagt, dass nur das Riesen-Projekt der Flussumleitung das Dürreproblem lösen kann. Am meisten Interesse an dem Projekt haben die Leute, die ihr bereits gut kennt: es sind die selben, die seit vielen Jahren die Region dominieren und ausbeuten. Sie benützen die Dürre, um öffentliche Mittel zu unterschlagen und die Wahlen zu gewinnen.

Die mit der Dürre zusammenhängenden Probleme, lassen sich mit großen Bauvorhaben nicht lösen. Im Nordosten wurden bereits siebzigtausend Stauseen angelegt, die insgesamt eine Speicherkapazität von über 36 Milliarden Kubikmeter Wasser haben. Es fehlen jedoch die Zuleitungen und Kanäle, die das Wasser zu den Bedürftigen bringen. Viele dieser Projekte liegen brach, genau wie die Agrarreform, die nicht vorwärts geht. Die Umleitung von größeren oder kleineren Wassermengen des Rio São Francisco, wird das ganze verfügbare Wasser teurer machen und zu Wassergebühren für nicht aufbereitetes Wasser im ganzen Nordosten führen. Dadurch wird die Bevölkerung, vorallem in den Städten,

ökonomische Aktivitäten mit hohem Wasserverbrauch, wie den für den Export bestimmten Anbau von Tropenfrüchten und Krabbenzucht sowie die Stahlproduktion "subventionieren". Das gleiche geschieht bereits mit dem Strom, der für Firmen viel billiger ist als für uns. Das ist der wirkliche Zweck der Flussumleitung, den man Euch vorenthält. Die Kanäle würden weit weg von den trockensten Gebieten des Sertão fließen, dorthin, wo es schon Wasser gibt.

Folglich, bin ich nicht gegen Euer heiliges Anrecht auf Wasser. Ganz im Gegenteil, ich setze mein Leben aufs Spiel, damit dieses Anrecht nicht neuerlich, wie immer, missachtet und manipuliert wird. Ich kämpfe für wahre Lösungen, um das Leben in Fülle für die Bevölkerung des Sertão – das war in den letzten 33 Jahren als Pater und Bischof im Sertão mein Lebensinhalt. Es ist somit eine Geste der Liebe zum Leben, zur Gerechtigkeit und zur Gleichheit. Diese haben im semi-ariden Gebiet noch nie geherrscht, sei es hier am São Francisco oder weit weg vom Fluss.

Gerade im Moment leidet die Bevölkerung unweit des Flusses und des Stausee Sobradinho sehr. Der Stausee verfügt nur noch über 14% seines Wasserspeicherkapazität, weil immer Wasser zur Stromgewinnung für die eine Entwicklung benötigt wird, die der Bevölkerung nicht zu Gute kommt. Investitionen von 13 Millionen Real, würden die Wasserversorgung der vier Munizipien am Rande des Stausees garantieren, die Bauvorhaben warten seit 2001 auf ihre Umsetzung aufgrund von fehlendem Interesse der Regierung.

Wir müssen uns dringendst um den São Francisco Fluss kümmern. Es darf keine weitere rein auf Gewinnstreben abzielende Nutzung des Flusses geben, den er wird schon seit langem dafür ausgebeutet. Wie ich Euch schon das letzte Mal gesagt habe, wenn die Flussumleitung die wirkliche Lösung für Eure Schwierigkeiten der Wasserversorgung wäre, würde ich mich an vorderster Front dafür einsetzen.

Was wir brauchen, ist eine neue Mentalität und ein respektvoller Umgang mit Wasser, und zwar nicht nur hier im Nordosten. Wir müssen gegen die Verschwendung vorgehen und jeden verfügbaren Tropfen wertschätzen, damit es für jede Art von Leben nicht an Wasser fehlt. Wir müssen neu überdenken, wie wir mit den natürlichen Ressourcen unseres Planeten umgehen. Wir müssen uns Gedanken machen über die Wege der Entwicklung in Brasilien und in der Welt. Sonst sind wir verdammt, unser eigenes Heim zu zerstören und unser eigenes Leben, entgegen den Plan Gottes.

Gott, Herr des Lebens, möge uns Helfen! "Damit alle das Leben haben!” (João 10,10).

Segne Euch Gott,

Dom Luiz Flávio Cappio, Ofm.

Sobradinho - BA, 29 de novembro de 2007

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An seinem 6. Fastentag feiert Bischof Dom Cappio eine Messfeier für über tausende Gläubige

Sobradinho – Seit sechs Tagen ernährt sich Dom Cappio ausschließlich von Wasser, das er in 20-minütigen Abständen zu sich nimmt. Heute am Morgen haben sich ihm weitere vier Frauen angeschlossen, die aus Solidarität ebenfalls mit dem Fasten begonnen haben. "Wir waren nie für dieses Bauvorhaben. Seit wir von der Flussumleitung gehört haben, merkten wir, dass das nichts Gutes ist. Schon durch den Bau des Sobradinho Staussees wurden viele Leute vertrieben" sagte Maria Luzia Gonçalves, 54 Jahre, eine der Frauen die den ganzen Tag über mitfasteten.

Am Vormittag bekam Dom Luiz Besuch von Schulklassen aus der Umgebung, und andern Gruppen aus den Nachbarbundesländern Ceará, Mato Grosso und seinem Geburtsort Guaratinguetá (São Paulo). Ebenfalls von lokalen Politikern, der Bürgermeister von Sobradinho und vom Bundestagsabgeordneten Edson Duarte (PV, Grüne Partei). Elba Ramalho, eine bekannte Musikerin aus dem Nordosten Brasilien hat ihm ebenfalls eine Solidaritätserklärung gesandt. Zusätzlich finden in den verschiedensten Städten Brasiliens Solidaritätsveranstaltungen statt.

"Das Blut, das in unseren Adern fließt, ist aus dem Fluss São Francisco”

Mehr als tausend Personen haben an der Messfeier teilgenommen, die gestern abend stattgefunden hat. Während seiner ergreifenden Predigt sagte Dom Luiz, "Wir lassen uns vom Egoismus treiben, von der Gewinnsucht, anstatt die Natur zu schützen." Er wies darauf hin, dass "wir gefährdet sind". Über den Fluss sagte er, "er imitiert den Heiligen seines Namens" weil er "in einer sehr reichen Region entspringt, und anstatt seinen Gefährten zu folgen, macht er eine Kurve, und fließt durch den armen Nordosten".

Er führte an, dass der São Francisco "mehr ist, als nur ein Fluss, er ist Vater und Mutter von uns Allen". Weiteres argumentierte er, dass sein Fasten dazu gut ist, "um uns darauf aufmerksam zu machen, dass es wichtig ist zu kämpfen, und wenn notwendig, auch das Leben dafür zu geben, das Leben dem zurückzugeben, der es uns immer gegeben hat".

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7. Fastentag und 8. Fastentag

Sobradinho – Auch am gestrigen siebten Fastentag (03.11.2007) wurde der Hungerstreik in den brasilianischen Massenmedien kaum wahrgenommen. Die Regierung versucht konsequent über

ihren Einfluss in den großen Fernsehanstalten, Dom Luiz zu isolieren. Aber wie lange noch werden sie den mutigen Schritt totschweigen können? Denn die Bevölkerung der São Francisco Region pilgert in Scharen zu der kleinen Kapelle zu ihrem Bischof.

Am heutigen Abend (04.11.2007) wird eine ökumenische Feldmesse am Ufer des Stausees Sobradinho stattfinden, wo für den Rio São Francisco gebetet werden soll. Denn dort ist die ökologische Situation des Rio São Franciscos besonders kritisch. Seit Monaten sinkt der Wasserstand des Sobradinho Stausees dramatisch und hat nun fast sein historisches Minimum erreicht. Die anliegenden Gemeinden leiden bereits unter Problemen mit der Wasserversorgung.

Für kommenden Sonntag ist eine große Wahlfahrt geplant, zu der tausende Pilger aus dem gesamten Nordosten erwartet werden.

Auch die bisher betont diplomatischen brasilianischen Kirchenoberhäupter können sich inzwischen nicht mehr einer Reaktion auf den mutigen Protest des Bischofs entziehen. Heute bekam Dom Cappio Besuch von Vertretern der brasilianischen Bischofskonferenz, Kardenal Dom Geraldo Majella und Dom Ceslau Stanula, die Dom Luiz einen offiziellen Brief überreichten. Sie waren direkt aus Salvador mit einem Regierungsflugzeug einflogen.

 

Der Sobradinho Stausee mit stark reduziertem Wasserstand

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Achter und neunter Fastentag

Sobradinho - Gestern (04.12) bekam Dom Cappio Besuch von Dom Geraldo Majella und Dom Ceslau Stanula. Im Gespräch betonten sie, dass sie seine Ziele gutheißen, versuchten ihn allerdings von anderen Protest-Methoden zu überzeugen. Dom Luiz hielt aber an seinem Fasten fest und feierte am frühen Abend, gemeinsam mit über 4000 Wahlfahrern aus der Umgebung eine Messe am Flussufer. Eine besondere Freude bereiteten ihm dabei die Teilnahme von über 20 Pfarrern, zum Teil aus seiner eigenen Diözese Barra.

Dom Luiz wird in seiner mutigen Entscheidung, durch die zunehmenden Protestaktionen und Solidaritätskundgebungen im ganzen Land gestärkt. In der Stadt Ibotirama, Diözese Barra (West-Bahia) haben heute Morgen (05.12.07) über 2000 Personen die Brücke der Hauptverkehrsverbindung Brasília – Fortaleza, die über den São Francisco Fluss führt, besetzt. Den ganzen Tag über war sie für den Verkehr gesperrt. Die Protestaktion in Solidarität mit Dom Luiz führte zu massiven Verkehrsbehinderungen. Es beteiligten sich die verschiedensten sozialen Bewegungen, Nichtregierungsorganisationen, Fischer sowie Einwohner der fünf angrenzenden Diözesen. Auch in São Paulo, Belo

Horizonte und Goiás fanden Solidaritätskundgebungen statt. Seit heute Nachmittag (05.12) nimmt Dom Luiz eine Zucker-Salz-Lösung zu sich. Sie soll dazu beitragen, dass der bereits um 3 Kilo abgemagerte und etwas erschöpft wirkende Bischof, sowie der immer größer werdende Wiederstand der Bevölkerung an Zeit gewinnen. Ebenfalls ist dies eine Antwort auf Aussagen des Integrationsministers Geddel Vieira Lima. Dieser erklärte in Interviews, dass die Regierung plant, Dom Cappio bei Eintreten der Bewusstlosigkeit in ein Krankenhaus zwangseinzuliefern.

Bischof Dom Ceslau Stanula, Kardinal Dom Geraldo Majella und Dom Luiz Cappio

 

Messfeier am Ufer des Rio São Francisco

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Zehnter und Elfter Fastentag

Sobradinho - Inzwischen hat Dom Luiz die magische Hürde des 11. Fastentages erreicht. Damals unterbrach er sein Fasten am elften Tag, nach dem Versprechen der Regierung, einen umfassenden Dialogprozess zwischen der Regierung und der brasilianischen Zivilgesellschaft über das Flussumleitungsprojekt zu beginnen. Dom Cappio ist sich bewusst, dass eine Reaktion der Regierung dieses Mal noch dauern kann. Er meint gelassen: "Ich weiß, dass die Regierung meine Kräfte testen will."

Denn die Regierungsposition scheint dieses Mal weitaus härter. Die "Geste der Verzweiflung" sowie die Proteste der Bevölkerung werden ignoriert. Der Integrationsminister, Geddel Vieira Lima, verkündete vor wenigen Tagen (04.12.2007) die Beendigung des Ausschreibungsverfahrens und die Vergabe der Bauaufträge. Er betonte jedoch, dies stünde zeitlich nicht im Zusammenhang mit dem Hungerstreik von Dom Luiz Cappio. "Ich führe nur aus, was ich schon öffentlich angekündigt habe. Die Bauarbeiten um die Flussumleitung gehen weiter. Ich verfolge genau den von uns festgelegten Zeitplan. Er behauptete "wir führen alle Prozesse mit totaler Transparenz durch, bestätigt durch die Wählerstimmen, es ist unser Regierungsauftrag (Jornal A Tarde, 06.12.2007)".

Dom Luiz lässt sich von diesen Aussagen jedoch nicht erschüttern. Am elften Tag seines Fastens trinkt der Bischof zusätzlich zum Wasser eine Zucker-Salz-Lösung. Dies verhindert die Dehydrierung und verschafft ihm einen längeren Atem. "Ich fühle mich sehr gut, sehr gesund, voll von Lebenskraft, obwohl mir manchmal schwindlig ist" erklärte er. "Der Geist ist sehr gestärkt, ich bin wohl auf und blicke hoffnungsvoll in die Zukunft." Er wird von der starken Solidarität der Einwohner von Sobradinho bestärkt, die die wachsende Zahl der eintreffenden Pilger in ihren Häusern aufnehmen und mit Essen versorgen.

An den beiden Baustellen des Nord- und Ostkanals der Tansposição wird unterdessen, ungeachtet der Proteste, an der Aushebung der Kanäle weitergearbeitet. Das Szenario erinnert an die Zeit der Militärdiktatur. Da bis vor wenigen Tagen das Ausschreibungsverfahren der Baufirmen nicht abgeschlossen war, werden Soldaten des Bundesheeres für die Bauarbeiten eingesetzt. Die Anwohner sind von der starken Militärpräsenz sehr verunsichert. "Die Situation ist absurd, es scheint wie im Krieg" sagte ein Anrainer. Viele wissen nicht einmal welchen Zweck die Bauarbeiten haben und in vielen Fällen ist die Enteignung der Betroffenen nicht klar geregelt.

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Menschrechte versus Großprojekte in Brasilien – gestern und heute

Sobradinho – Am gestrigen Sonntag (09.12.2007) nahmen mehr als 5000 Menschen einer großen Wahlfahrt, die von den kirchlichen Sozialpastoralen organisiert worden war, teil. Vertreter von sozialen Bewegungen, Landlosenorganisationen (MST), indigenen Gruppen und politischen Parteien reisten zum Teil in tagelangen Busreisen an, um sich am Stausee Sobradinho mit der Protestbewegung gegen die Umleitung des Rio São Francisco zu solidarisieren.

In seiner Eröffnungsansprache der ökumenischen Feier ermutigte Dom Luiz die Anwesenden "das Wort Gottes lehrt uns: Wenn ihr Glauben habt so groß wie ein Senfkorn, dann könnt ihr zu einem Berg sagen: versetze dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen." Als Symbol für das Senfkorn wurden Bohnensamen gesegnet und alle Pilger verteilt, damit sie den Samen der Hoffnung in ihre Heimatorte tragen. Der Bischof bekräftigte erneut, dass es

nicht möglich ist den Glauben vom Leben zu trennen. Er wandte sich direkt an die anwesenden sozialen Bewegungen "wir müssen uns die Hände geben, vereint werden wir siegen. Den größten und stärksten Gegnern muss man mit Fasten und Beten begegnen."

In Ansprachen gedachten die Vertreter der insgesamt 115 anwesenden Organisationen, Bürgerbewegungen und Nichtregierungsorganisationen der symbolischen Bedeutung des Ortes Sobradinho. Denn in dieser Region wurden vor 30 Jahren mehr als 72.000 Menschen vertrieben, als sie dem großen Sobradinho Stausee weichen mussten. Bis heute sind in vielen Fällen die Entschädigungszahlungen vieler Betroffenen nicht erfolgt. Es wurde in den Ansprachen daran erinnert, dass beim Bau der Staumauer unzählige Arbeiter in der Staumauer "beerdigt" wurden, die bei den Bauarbeiten verunglückten und mit einbetoniert wurden.

Das indigene Volk der Tuxá Indios wurde damals in viele kleine Gruppen aufgeteilt, ihre Forderungen nach einem offiziell anerkannten Territorium wurden bis heute nicht erfüllt und nun sind sie wieder von einem Großprojekt betroffen: der Umleitung des Rio São Francisco. Zusammen mit den indigenen Gruppen der Tumbala und Truká eröffneten sie mit einem rituellen Tanz die ökumenische Feier zur Unterstützung des Kampfes gegen die Flussumleitung.

Am Nachmittag fand eine Gedenkfeier auf der Staumauer des Sobradinho Stausees statt, bei der die Teilnehmer dem Fluss solidarisch einen Schluck Wasser, das sie aus ihren Heimatregionen mitgebracht hatten, spendeten. Als die Prozession an der Staumauer ankam, wurden die Pilger von Infanterie-Soldaten des brasilianischen Bundesheeres aufgehalten, die das Elektrizitätswerk mit Nato-Stacheldraht abgeriegelt hatten. Insgesamt sind seit zwei Tagen 200 Soldaten am Sobradinho Stauwerk stationiert, die Zufahrtsstraße zur Staumauer ist seither für den öffentlichen Verkehr gesperrt.

Die Andacht auf der Staumauer konnte friedlich beendet werden. Doch das Szenario erinnerte viele der Beteiligten an die Zeiten der Militärdiktatur, als die Region um den Stausee als "Zone der nationalen Sicherheit" deklariert wurde.

Am Tag der internationalen Menschrechte gibt das autoritäre Vorgehen der brasilianischen Regierung, die auf friedliche Kundgebungen der Bevölkerung mit massivem Militäreinsatz regiert, Anlass zu Zweifeln über die Situation der Menschrechte in Brasilien.

Das österreichische Fernsehen hat am Sonntag 09.12.07, um 12.30 Uhr in der Sendung ORIENTIERUNG, ORF2 einen Beitrag mit dem Titel "Bahia - ein Bischof im Hungerstreik" gesendet. Dieser wird am Dienstag, den 11.12.2007, 12.25 Uhr, ORF 2 und am Donnerstag 13.12.2007, 13.45 Uhr, 3sat

religion.orf.at/projekt03/tvradio/orientierung/or_071209_fr.htm

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Richterlicher Beschluss verfügt die vorläufige Einstellung des Projektes der Flussumleitung

Sobradinho – Am heutigen vierzehnten Fastentag (11-12-2007) kam es zu einer entscheidenden Wende im Tauziehen um das Flussumleitungsprojekt des Rio São Francisco. Richter Souza Prudente vom Oberverwaltungsgericht der Region (Nordosten) hat gestern Abend einem Einspruch der Bundesstaatsanwaltschaft gegen die Resolution 47/2005 (17/1) des Beirats für Wasserressourcen (Conselho Nacional de Recursos Hídricos, CNRH) stattgegeben. Diese seit 2005 erwartete Entscheidung bedeutet, dass das Projekt der Umleitung des Rio São Fancisco bis auf weiteres durch richterlicher Erlass suspendiert ist.

Der Beirat für Wasserressourcen hatte im Jahr 2005, ganz im Sinne der Regierung, die Wasser-Ableitung bewilligt. Daraufhin argumentierte die von den Projekt-Gegnern angerufene Staatsanwaltschaft, dieser Beirat hätte mit seiner Entscheidung die Kompetenzen des Komitees für die Anliegen des Rio São Francisco Tals (Comitê da Bacia Hidrográfica da Bacia do Rio São Francisco, CBHSF) missachtet; in diesem Komitee war das Projekt aufgrund der überwiegenden Ausrichtung für Bewässerungszwecke vorher schon abgelehnt worden. Daraus entstand eine Patt-Stellung, die mit der gestern ergangenen Entscheidung zu Gunsten der Projekt-Gegner überwunden ist.

Allerdings muss nun damit gerechnet werden, daß die Regierung gegen die vorliegenden Entscheidung bei der übergeordneten Gerichts-Instanz Einspruch erheben wird. Also gilt es, den endgültigen Spruch des Obersten Gerichtshof Brasiliens abzuwarten.

Dementsprechend vorsichtig die Reaktion von Dom Frei Luiz Cappio, der in einer ersten Reaktion in einem Fernseh-Interview am frühen Morgen bekräftigte, dass er sein Fasten nur dann abbrechen wird, wenn das Militär tatsächlich von den Baustellen an den Kanalbauarbeiten abgezogen wird und das Wasserumleitungsprojekt definitiv archiviert worden ist. "Ich treffe in meinem Leben normalerweise keine überstürzten Entscheidungen", meinte Dom Luiz, " doch empfangen wir diese Entscheidung mit großer Freude, denn sie ist ein wichtiges Zeichen der Hoffnung. Aber wir sind noch nicht am Ziel."

Für den morgigen Mittwoch (12-12-07) ist ein Treffen zwischen Lula und Vertretern der brasilianischen Bischofskonferenz angesetzt. Dom Luiz sprach bereits am Morgen per Telefon mit Kardinal Dom Geraldo Lírio, der den Vorsitz der brasilianischen Bischofskonferenz innehat. In diesem Telefonat versicherte der Kardinal, dass er dem Präsidenten Lula die Bedenken der Bischofskonferenz zum Projekt der Flussumleitung vorbringen werde. "Er hat uns seinen Beistand ausgesprochen", so der freudige Kommentar Dom Frei Luiz nach dem Telefonat mit Dom Geraldo.

Unterdessen nimmt in Sobradinho die Unterstützung der sozialen Bewegungen zu. Heute Nachmittag empfing Dom Frei Luiz den national und international renommierten Koordinator der Landlosenbewegung MST, João Pedro Stedile und Lucina Genro, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei PSOL.

Gestern rief die Via Campesina, ein nationales und internationales Netzwerk von sozialen Bewegungen im Kampf für soziale und ökologische Gerechtigkeit in ländlichen Regionen, im ganzen Land zu Protestveranstaltungen auf. Die Proteste richteten sich gezielt gegen die Umleitung des Rio São Francisco sowie gegen den geplanten Staudamm Rio Madeira in Amazonien. Besonderes Aufsehen erregte die Besetzung der nationalen Elektrizitätsbehörde ANEEL in Brasília, die schließlich von einem gewaltsamen Eingriff eines mächtigen Polizeiaufgebots beendet wurde.

João Pedro Stedile zu Besuch bei Dom Luiz

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Dom Frei Luiz F. Cáppio

Salvador, Bahia

Samstag, 08/12/2007

Warum ich in Sobradinho faste

Vor 33 Jahren kam ich in das vom São Francisco Strom durchflossene Hinterland Bahias, und fand mich in diesem Fluß wieder. Hier entdeckte ich die mir angemessene Form, dem Beispiel des Franz von Assisi zu folgen, der für mich Vater und Vorbild in der Nachfolge Jesu ist. Wie der Heilige Franz verließ ich eine gutsituierte Familie, um mich in den Dienst der Armen zu stellen. Geboren im entwickelten Umland von São Paulo, fand ich mich nun im Armenhaus des brasilianischen Nordostens wieder. Mit dem São Francisco Strom ist es ähnlich: er entspringt im Bundesstaat Minas Gerais, das zum reichen Südwesten Brasiliens gehört, und fließt – im Unterschied zu den Flüssen seiner Nachbarschaft – in den verarmten Nordosten Brasiliens, wohin er Wasser und Nahrung trägt. Der Strom ist die Achse, das Zentrum, die Lebensader für das Volk. So kommt es, dass ich mich diesem Volk und seinem Fluß zutiefst verbunden fühle und für eine Ökologie einstehe, die von meiner franziskanischen Spiritualität getragen wird.

In all diesen Jahren erlebte ich Tag für Tag den ökologischen und sozialen Niedergang am Rio São Francisco und an seinen Zuflüssen mit. Die eingesessenen Anwohner entlang der Flüsse beklagten sich über die wachsenden Schwierigkeiten, ihren Lebensunterhalt aus dem Fluss zu gewinnen: der Fischbestand ist im Schwinden, die fruchtbaren Schwemmgebiete gehen verloren, Sandbänke breiten sich aus, die Schifffahrt gestaltet sich immer schwieriger, vergiftetes Wasser, Verschmutzung, Austrocknung, ... Angesichts dessen fühlte ich mich zu einer radikalen Reaktion gezwungen, die über die weitgehend nutzlosen Anklagen der Missstände hinausgehen sollte. So kam es, dass ich zwischen 1992 und 1993 mit zwei Gefährten und einer Nonne eine große Pilgereise unternahm, die uns über ein Jahr lang von der Quelle bis zur Mündung des São Francisco Stromes führte. Wir wollten die Menschen am Strom aufrütteln, das öffentliche Bewusstsein auf die Flussproblematik lenken sowie das Volk und seine Vertretungen aufrufen, sich der Bewegung zur Rettung des São Francisco Stroms und seiner Menschen anzuschließen.

Diese Wanderung bot die außerordentliche Chance, den Strom, seine Nöte, seine Schönheit und sein Potenzial aus nächster Nähe zu erleben. Dabei wurde uns klar, dass vor allem die ausgedehnten Rodungen der Galerie-Wälder größten Schaden anrichten. Sie werden abgeholzt, um monokulturellen Ackerbau zu betreiben oder Holz für Köhlereien zu gewinnen. In der Folge versiegen die Quellen, die Flussbette versanden, die Ufer erodieren. Dazu kommen die Verschmutzung durch städtische und industrielle Abwässer sowie Wasservergiftungen, die auf schonungslosen Berg- und Ackerbau zurückgehen. Weiteres sind die großen Bewässerungsanlagen zu nennen, die einerseits enorme Konzentrationen an Spritzmitteln einsetzen, andrerseits Unmengen von Wasser verschwenden. Die Dämme und Stromkraftwerke führen sehr oft zur Vertreibung der eingesessenen Flussanrainer, bringen den natürlichen Wasserkreislauf aus dem Lot und beanspruchen 70% des Abflussmenge für die Energie-Gewinnung. Vor allem aber führt die Degradierung des Flusses die Misere und Vernachlässigung der Bevölkerung des Flusstals, denn diese Menschen erfahren die Konsequenzen der Zerstörung des Flusses am eigenen Leib.

Die Wurzel all dieser Fehlentwicklungen liegt im sogenannten"Entwicklungsmodell", das nichts anderes ist als die ungezügelte Anhäufung von Kapital. Die darin begründeten maßlose, unbegrenzte und konfliktreiche Übernutzung von Land, Wasser und Bevölkerung des "Velho Chico"1, die einzig auf Gewinnmaximierung abzielt, ist das Todesurteil für den Rio São Francisco, und die Galgenfrist läuft buchstäblich ab. Augenscheinlich wird das an der rasanten Abholzung des Cerrado-Gebiets im Westen Bahias, wo die wichtigsten Zuflüsse entspringen oder an der Vernichtung der Caatinga, jene an die Trockenheit angepasste Vegetationsform Nordostbrasiliens, die heute in Holzkohle umgewandelt wird. Diese Abholzung führt zur Versandung der Zuflüsse und des Hauptstroms. Der Boom der Agro-Treibstoffe aus Zuckerrohr, Soja und Eukalyptus ist die jüngste Gefahr, vielleicht jene, die schlussendlich den Tod des Flusses besiegeln wird.

Für die Rettung des São Francisco Stroms gibt es keine andere Alternative als die unverzügliche, generelle Aussetzung jeglicher weiterer zerstörerischen Projekte und ein entschlossenes Programm zur Fluss-Revitalisierung. Letzteres würde ein Mammut-Unternehmen bedeuten, über Generationen hinweg, unter Zusammenwirken aller staatlichen und zivilgesellschaftlichen Kräfte. Was sich heute als Revitalisierungs-Programm ausgibt, ist allenfalls eine Augenauswischerei, ein Feigenblatt für das Flussumleitungs-Projekt, um nicht zu sagen ein marktschreierischer Kuhhandel, wie der Propaganda-Feldzug des Ministers Geddel gezeigt hat.

Sobradinho ist ein Sinnbild

Ich habe den Ort Sobradinho als Ort meines Fastens ausgewählt. Vor 30 Jahren wurde hier ein riesiges Stauwerk errichtet und dem São Francisco Tals als künstliches Herz eingepflanzt, reduziert auf die Funktion eines Energie-Lieferanten, der für 17 % der Strom-Produktion Brasiliens sorgt bzw. für 95% der im Nordosten konsumierten elektrischen Energie. Wir können also schon hier von einer "Transposição” sprechen, einer "Umleitung" des Wassers in die Energie-Produktion, ein gewaltiger Eingriff in den natürlichen Flusslauf.

Aufgrund der äußerst autoritären Umsetzung des Kraftwerk-Projekts, der Absiedelung von etwa 72.000 Anrainer-Familien und der Vernichtung ausgedehnten Kulturlandes ist der Ort Sobradinho als Beispiel in die Geschichte eingegangen, wie das Leben der Gier und dem Profit unterworfen wird und der Bevölkerung einem Entwicklungsmodell aufgezwungen wird, dessen hohe soziale und ökologische Kosten zum Tod des São Francisco–Tals führen werden. Im Augenblick liegt der Wasserstand des Stausees bei 14% seines Fassungsvermögens. Die Menschen an den Ufern tragen wieder die Konsequenzen. Somit ist Sobradinho schlicht zum Abbild des schwer kranken São Francisco Stroms geworden. Ein Beispiel für falsche Prioritätensetzung: Die vier Gemeinden, die an den Stausee angrenzen, haben enorme Schwierigkeiten, ihre Bevölkerung mit Wasser zu versorgen; mit 13 Millionen Reais wäre Abhilfe geschaffen, doch warten die Gemeinden seit 2001 auf grünes Licht aus der Politik ...

Das Projekt zur Flussumleitung folgt der gleichen Logik wie der Stauwerk Sobradinho. Eigentlich laufen alle großen nationalen Projekte auf diese Logik hinaus, begonnen von den gentechnischen Produktivitätssteigerungen bis zu den Kraftwerken am Rio Madeira oder in Angra II: immer werden Naturraum und Wasser den Interessen privater Unternehmer überlassen und somit unsere natürliche Ressourcen der globalen kapitalistischen Ausbeutung geopfert. Die großen Herausforderungen des Ressourcen-Schutzes, die das Überleben des Planeten und der menschliche Spezies bedrohen, werden missachtet.

Übersetzung: Martin Mayr

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1 wörtlich "Der Alte Franz": Bezeichnung des São Francisco Stroms im Volksmund

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Folha de São Paulo – São Paulo, Mittwoch, 12. Dezember 2007

 

Ich faste nicht zuletzt für eine wahre Demokratie

Luiz Flávio Cappio

Man wirft mir vor, ich sei ein Feind der Demokratie, weil ich mit Fasten und Beten ein autoritäres und verlogenes Projekt bekämpfe: die Umleitung der Wasser des São Francisco Stroms.

Ich werde als demokratie-feindlich gescholten, weil ich mit Fasten und Beten jenem autoritären, lügnerischen und rückschrittlichen Mammut-Projekt der Bundesregierung entgegentrete, das die Wasser des São Francisco Stroms umleiten will.

Meine Reaktion lässt sich aber nicht so hinstellen, als hätte ich mir freiwillig und allein von mir selbst ausgehend auferlegt, was ich nun tue. Wäre dem so, so könnte ich bestimmt nicht mit soviel Unterstützung rechnen, die mir von großen Teilen der Gesellschaft in steigender Intensität zugesichert wird, selbst aus den Reihen der Regierungspartei PT.

Wenn wir tatsächlich in einer republikanischem Geist verpflichteten, unverwässerten Demokratie lebten, so bräuchte ich nicht so weit gehen, wie ich es jetzt tue.

Eine der schlimmsten Übel der "Demokratie" in Brasilien besteht darin, dass gemeint wird, mit dem Mandat aus der Wahlurne sei in der Folge schrankenlose Macht zuerkannt und eine Lizenz für das völlige Abschreiben der im Wahlkampf vertretenen Positionen erteilt; als wäre mit der Wahl eine Art Blanko-Scheck erstellt für alles, was mehr Macht und mehr Vermögen verspricht. Deshalb gehören nach wie vor alle möglichen Formen von Bevorteilung, Abzweigung öffentlicher Mittel, Interessens-Schieberei und Bestechung zum Repertoire der brasilianischen Politik, und leider sind die Aussichten sehr gering, daß sich dies bald ändern würde. Der Gesellschaft aber hängen diese Praktiken längst beim Hals heraus, und es ist höchste Zeit, dass sich die Gesellschaft massiv dagegen auflehnt.

Es gibt Politiker – und leider sind es nicht eben wenige - , die eine Spur von Übergriffen, Korruption und unrechtmäßiger Bereicherung ziehen, wo immer sie in das öffentliche Leben eingreifen. Da Unsitten wie klientilistischer Wählerfang, Glorifizierung der Kandidaten, unerfüllbare Wahlversprechen und die "Wie-du-mir-so-ich-dir"-Schablone weiterhin ziehen und viel eher politische Verführung als politische Bildung angesagt bleibt, gelingt es besagten Kandidaten und Kandidatinnen, immer auf’s Neue wiedergewählt zu werden und in immer höhere Positionen vorzurücken, ganz unabhängig davon, welcher Partei oder welchem politischen Bündnis sie angehören.

Im Wahlkampf des Präsidenten Lula wurde das zentrale Thema "Wasser-Umleitung" soweit wie möglich gemieden. Und doch werden unsere Wahlgänge, die auf nichts anderem als bloßem Marketing-Kalkül und abgedunkelter Parteien-Finanzierung durch die Unternehmer aufbauen, als hehre Ausdrucksformen unserer Demokratie-Kultur hingestellt und gern mit dem Verweis auf unser elektronisches Urnen-System dekoriert, womit wir selbst den USA als Beispiel dienten ...

Das Wasserumleitungs-Projekt der Regierung ist undemokratisch, just deshalb, weil es den Menschen im Nordosten Brasiliens, die an Wassermangel leiden, den Zugang zum Wasser eben nicht erleichtert, ganz gleich, ob sie nun nahe dem Flusslauf oder weitab vom Rio São Francisco leben.

Die Regierung lügt, wenn sie behauptet, sie würde 12 Millionen Durstleidende mit Wasser versorgen. Vielmehr handelt es sich um ein Projekt, das öffentliches Geld zur Begünstigung der Ausführungs-Firmen ausgeben will; ein Projekt, welches das Wasser des Nordostens Brasiliens privatisieren und in den Händen der immerselben Eliten konzentrieren wird, sowohl die Wasser der großen Stauseen wie die Wasser des São Francisco Stroms.

Die Umleitung des Wassers vom São Francisco hat absolut nichts mit der

Trockenheit im Nordosten zu tun. Das zeigt sich allein schon darin, dass der Nordkanal, in dem 71% des abgezweigten Wassers in den Norden fließen sollen, weitab von den tatsächlich regenarmen und von Wassernot geplagten Regionen geplant ist. Von diesem Wasser sind nicht weniger als 87% für Produktionszweige mit sehr hohem Wasserverbrauch bestimmt: für bewässerten Obstbau, für die Garnellen-Zucht und für die Stahl-Industrie, allesamt Export-orientierte Investitionen mit äußerst bedenklichen sozialen und ökologischen Folgewirkungen.

Die genannten Zahlen sind den offiziellen Studien und der abschließenden Umweltverträglichkeitsstudie des Wasserumleitungs-Projekts zu entnehmen, wie sie dem Gesetz entsprechend veröffentlicht worden ist – wogegen die Regierung im Internet nur Propagandistisches über das Projekt veröffentlicht.

Das Wasserumleitungs-Projekt ist illegal und wird auf eine ebenso willkürliche wie autoritäre Art forciert: Die Untersuchungen zu den ökologischen Folgen sind nicht abgeschlossen, der rechtmäßige Weg zur Erlangung der umwelt-technischen Bewilligung wurde verfälscht, indigene Gebiete sind vom Projekt betroffen, ohne dass dies – wie in der Verfassung vorgesehen – Gegenstand einer Anhörung im Nationalkongress gewesen wäre.

Insgesamt sind 14 Gerichtsverfahren im Laufen, die Gesetzesverletzungen und Verfahrensmängel anprangern, doch vom Obersten Gerichtshof bislang nicht entschieden worden sind. Dessen ungeachtet hat die Regierung Militär-Einheiten zum Kanal-Anstich mobilisiert, was einem Missbrauch der Heeres-Befugnisse und einer Militarisierung jener Gegend gleichkommt. Dass der Entscheid des Regionalen Verwaltungsgerichtshofs vom vergangenen 10. Dezember einen einstweiligen Baustopp bewirkt hat, gilt als weiteres beredtes Zeugnis für die rechtswidrige Durchdrücken des Projekts.

Doch die empörendste, weil wirklich schon an Grausamkeit heranreichende Methode der Regierung besteht darin, die öffentliche Meinung – besonders in den Bundesstaaten, die als besonders begünstigt hingestellt werden – mit haltlosen Versprechen zu manipulieren, die von reichlicher und einfacher Wasserzustellung reden, ohne die wirklichen Nutznießer zu nennen, und auch mit keinem Wort sagen, wie die Wasserzuleitung funktionieren soll, welche Kosten dann zu bezahlen sein werden, wie die kleinen Nutzer die großen Verbraucher indirekt subventionieren werden, ähnlich, wie dies jetzt schon mit den Stromkosten geschieht. Demgegenüber lässt der offizielle Umwelt-Bericht keinen Zweifel am Endzweck des abgeleiteten Wassers: 70 % für Bewässerung, 26 % für industriellen Gebrauch, 4 % für den Konsum der verstreuten Anwohner.

Demgegenüber liegt uns ein weitaus umfassenderes Projekt vor: Wir wollen Wasser für die 44 Millionen Bewohner und Bewohnerinnen des Trockengürtels Nordostbrasiliens - für alle neun Bundesstaaten, nicht nur für vier; für 1.356 Gemeinden, und nicht nur für 397. Und das alles zum halben Preis dessen, was im Regierungsprogramm zur Anheizung des Wirtschaftswachstums für das Wasserumleitungs-Projekt vorgesehen ist.

Was vom "Atlas des Nordostens", herausgegeben von der Nationalen Wasserbehörde (Agência Nacional das Águas), und von den Initiativen der ASA-Netzwerks (Articulação do Semi-Árido) an Vorschlägen präsentiert wird, ist wesentlich breiter, stellt die Versorgung mit Trinkwasser für Mensch und Tier in den Mittelpunkt und baut auf der Nutzung der reichen, durchaus genügenden Wasserreserven des Nordostens auf.

Man nannte mich einen Fundamentalisten und Feind der Demokratie, weil ich das Volk aufgerufen hätte, sich aufzulehnen. Davor haben die "Demokraten", die mir diese Vorwürfe machen, offenbar Angst. Warum aber wird die Wahrheit über dieses Projekt nicht eingestanden, und warum wird nicht offen darüber diskutiert, welches das bessere Projekt ist bzw. welcher Weg tatsächlich zur Entwicklung des Trockengebiets im Nordosten führt? In genau dieser Auseinandersetzung liegt die Essenz meines Widerstands, und in genau dieser Auseinandersetzung vollzieht sich, was Demokratie tatsächlich ist.

 

Dom Frei Luiz Flávio Cappio, 61, ist Diözesan-Bischof von Barra (Bahia) und Autor des Buches "Der São Francisco Strom – ein Gang zwischen Leben und Tod"

Übersetzung: Martin Mayr

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Trotz richterlicher Anordnung des Baustopps gehen die Bauarbeiten weiter

Sobradinho – Trotz der richterlichen Suspendierung der Baugenehmigung und Anordnung des Baustopps vom Montag den 10.12.07 werden die Bauarbeiten, drei Tage danach unbeirrt fortgesetzt. In einem Interview nach dem Treffen mit dem Präsidenten und Generalsekretär der brasilianischen Bischofskonferenz am 12.12.07 betonte Lula "ein Einlenken der Regierung würde andere Personen zu ähnlichen extremen Aktionen animieren, um ihre Anliegen durchzusetzen." Aus dem Ort der Baustelle des Nordkanals, Cabrobó in Pernambuco, treffen Nachrichten ein, dass seit Anfang der Woche das Militärkontingent massiv erhöht wird. Die Anrainer berichten über die Ankunft von neuen Militäreinheiten und der Stationierung von Panzerwagen an den Zufahrtstraßen zur Baustelle.

Dom Luiz fastet nun seit siebzehn Tagen und bekräftigt, sein Fasten erst dann abzubrechen, wenn das Militär von den Baustellen der Kanalbauten abgezogen wird und das Projekt endgültig archiviert wird. Er zeigte sich sehr bekümmert über die autoritären Reaktionen der Regierung: "ich sorge mich derzeit nicht um meine Gesundheit. Was mir wirklich Sorgen bereitet, ist die Gesundheit der brasilianischen Demokratie, die nicht einmal richterliche Beschlüsse respektiert." Weiteres führte er an: "So wie es aussieht, befinden wir uns auf dem Weg in eine Diktatur, wenn wir uns nicht schon bereits in einer befinden."

Wichtige positive Signale kommen dagegen von den Oberhirten der christlichen Kirchen Brasiliens. Bei ihrem gestrigen Besuch sprachen Vertreter des Hilfswerk der protestantischen Kirchen Brasilien (Diaconia) Dom Luiz ihre volle Unterstützung aus. Große Hoffnung brachte die offizielle Erklärung des Ständigen Rats der brasilianischen Bischofskonferenz vom gestrigen 13.12.07 (imAnhang in der deutschen Übersetzung). In dem Hirtenbrief fordern sie alle christlichen Gemeinden und alle Menschen guten Willens auf, "sich fastend und betend mit Dom Luiz Cappio zu verbinden und in Solidarität mit dem Anliegen für sein Leben und seine Gesundheit zu bitten. Die Hoffnung enttäuscht nicht (Röm 5,5).

Ein sehr wichtiges Zeichen setzte außerdem gestern der Besuch von Senator Eduardo Suplicy (PT). In einem Gespräch mit Dom Luiz versicherte der Senator, sich persönlich dafür einzusetzen, eine Debatte über das Projekt der Flussumleitung des São Francisco im Senat zu veranlassen. Er betonte die Notwendigkeit, "dass die Appelle von Dom Luiz vom Präsidenten Lula gehört werden".

An der Zufahrtsstraße zur Baustelle des Nordkanals in Cabrobó, Pernambuco

Dom Luiz an seinem 17. Fastentag

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Das Flussumleitungsprojekt auf dem Hintergrund der Rechtslage

Brasilien versucht sich als demokratischer Rechtsstaat zu festigen. Ein Staat kann sich als demokratisch bezeichnen, wenn er die effektive Beteiligung der Bevölkerung an den von der öffentlichen Hand umzusetzenden politischen Handlungen respektiert. Es reicht nicht, einfache Beteiligungsgremien zu schaffen, die nur den Willen der Regierung bestätigen. Auch öffentliche Anhörungen, bei denen die Bevölkerung ihre Meinung sagen kann, sind unzureichend, wenn ihre Vorschläge nachher nicht aufgegriffen werden.

Einen Rechtsstaat zeichnet aus, dass der Staat und seine Instanzen die existierenden Gesetze in all ihrm Handeln respektieren. Deshalb muss der Staat als erster die Verfassung einhalten und die existierenden Gesetze des Rechtssystem befolgen. .

Was die Flussumleitung, das Projekt und seine Umsetzung durch die Regierung betrifft, können wir einen offenkundigen Verstoß gegen den demokratischen Rechtsstaat erkennen.

Der Staat erfüllt in keiner Weise die Bestimmungen der Verfassung und der ihr untergeordneten Gesetze des Landes. Drei grosse Gruppen von Gesetzesverstößen können herausgestellt werden.

a) Verstoß gegen die Verfassung: der Paragraph 49, Artikel der brasilianischen Verfassung verfügt, dass es zu den ausschließlichen Kompetenzen des Kongresses gehört, über die Verwendung von natürlichen Ressourcen in Indigenenterritorien abzustimmen. Die Wasserentnahmestelle am Nordkanal in Cabrobó, liegt 80 Meter von der "Ilha de Assunção", einem bereits deklarierten Indigenenterritorium der Truká Indios, entfernt. Auch andere Kanäle der Flussumleitung durchqueren, unter anderem, das Land der indigenen Gruppen der Truká und Pipipan. Die Demarkation dieser Territorien wurden von der FUNAI (Nationale Behörde für Indigenen-Fragen) bereits eingefordert, sie sind jedoch bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht offiziell ausgewiesen. Doch alle Anzeichen weisen darauf hin, dass es sich tatsächlich um Indigenenterritorium handelt. Zudem müssen laut Paragraph 231 der Verfassung die indigenen Gruppen angehört werden. Weder der Kongress noch die indigenen Gruppen wurden jemals zu dem Projekt befragt.

b) Verstöße gegen die Umweltgesetze:

Die gesetzlichen Vorgaben für die Durchführung der Umweltgenehmigungen wurden alle übergangen. Als Beispiel kann der Inhalt der Umweltverträglichkeitsprüfung angeführt werden. Die durchgeführte Studie prüfte die tatsächlichen Einwirkungen auf das Wassereinzugsgebiet des Rio São Francisco sowie auf die Flusstäler nicht, in die das Wasser des Rio São Francisco geleitet werden soll. Es wurden lediglich Umweltwirkungen unmittelbar in dem Gebiet, durch das die Kanäle verlaufen sollen, untersucht.

Die realisierten Studien machen keine Aussagen über die tatsächlichen negativen abiotischen Auswirkungen (zum Beispiel auf das Grundwasser), die biotische Umwelt (zum Beispiel: Auswirkungen auf die Biodiversität der Caatinga-Vegetation) oder auch die sozio-ökonomischen Auswirkungen. Ein Zeichen für die Unzulänglichkeit der Studien sind die Effekte auf die Stromerzeugung. Als Alternative für die verringerte Stromerzeugung durch Wasserkraft wird angegeben, dass auf Stromerzeugung durch Wärmekraftwerke umgestellt werden kann, ohne dass die Konsequenzen davon analisiert wurden. Schwerwiegend ist auch die Tatsache, dass die Regierung nach Abschluss der Studien, ohne jegliche neue Prüfung, das Projekt um neue Kanaltrassen erweitert hat. Noch schlimmer ist die Missachtung der obligatorisch durchzuführenden Prüfung von Alternativen und deren positiven und negativen Konsequenzen. Nur mit einer Analyse der Alternativen kann herausgefunden werden, auf welche Weise die Verbesserung der Wasserversorgung der Bevölkerung der Bundesstaaten im Nordosten (Rio Grande do Norte, Ceará, Pernambuco und Paraíba) am besten garantiert werden kann. Die Studie der Alternativen ist laut der brasilianischer Verfassung Teil der Umweltverträglichkeitsprüfung für alle Bauvorhaben. Eine verantwortungsvolle Untersuchung, würde prüfen, welche Alternativen es zur Flussumleitung gibt. Für die Stadtbevölkerung wären die Maßnahmen, die von der Nationalen Wasserbehörde im Atlas des Nordosts zusammengefasst wurden eine Alternative. Es handelt sich dabei um 530 lokale Bauvorhaben, die allen neun Bundesstaaten des Nordosten zugute kommen würden (und nicht nur den vier vom Umleitungsprojekt profitierenden Bundesstaaten) und einen wesentlich geringeren Kostenaufwand bedeuten. Um die ländliche Bevölkerung zu erreichen, wären Investitionen in von der ASA (Netzwerk der Nichtregierungs-organisationen der semi-ariden Region) entwickelten Technologien zur Regenwassernutzung und in angepasste Landnutzungsformen wichtige Alternativen.

Die Flussumleitung wird die Bevölkerung des Nordostens nicht erreichen, die Durst leidet. Das muss in der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) diskutiert werden, denn die Analyse der vom Projekt Begünstigten ist integraler Bestandteil dieser Studien. Gemäß dem Vorbeugeprinzip müsste garantiert werden, dass die Bauarbeiten nicht durchgeführt werden, ohne dass alle Variablen untersucht und bewertet werden, wobei auf Nachhaltigkeit sowohl im Hinblick auf irreparable Umweltschäden und Schäden für den Staatshaushalt geachtet werden muss.

c) Mißachtung der wasserrechtlichen Gesetzesvorschriften.

Das Projekt verstößt gegen das Gesetzbuch für das Wasserrecht (Sistema Nacional de Gerenciamento de Recursos Hídricos). Der Wasserwirtschaftsplan des Einzugsgebietes des Rio São Francisco, der gemäß seiner Zuständigkeiten (Paragraph 38 des Wassergesetzes 9433/97) vom Komité des São Francisco Tals (Comitê de Bacia, conforme) beschlossen wurde, legt folgendes fest: Es dürfe nur Wasser des Rio São Francisco in andere Einzugsgebiete abgeleitet werden, wenn diese der Trinkwasserversorgung für Mensch und Tier dient und Wasserknappheit bewiesen ist.

In der Tat dient die Ableitung des Flusswassers jedoch industriellen Zwecken in Ceará und der Krabbenzucht in Rio Grande do Norte und allgemein dem Agrobusiness und anderen wirtschaftlichen Nutzungen des Wasser. Bei der Genehmigung dieser Nutzungsformen durch die nationalen Wasserbehörde (ANA) wurde gegen den Wasserwirtschaftsplan verstoßen. In einem Verwaltungsverfahren des Komités des São Francisco Tals im Hinblick auf die Wassernutzungskonflikte fordern Fischer und Vertreter der Zivilgesellschaft, dass die Nutzung des Wasssers innerhalb des Einzugsgebietes Priorität gegenüber Nutzungen außerhalb haben müsse. Denn die Nutzungsrechte des Rio São Francisco haben bereits die Grenzen des verfügbaren Wassers erreicht. Der nationale Rat für Wasserressourcen (Conselho Nacional de Recursos Hídricos) hat in seiner Entscheidung der Genehmigung des Umleitungsprojektes eindeutig die Kompetenzen des Komités des São Francisco Tals übergangen.

Das ist ein klarer Verstoß gegen die Demokratie, denn die im Umweltrecht und im Wasserrecht vorgesehenen formalen Instanzen der Bürgerbeteiligung wurden nicht respektiert. Als erstes sind die nationalen Umweltkonferenzen in den Jahren 2003 und 2005 zu nennen. Diese von der Umweltministerin einberufenen Beteiligungsforen mit Delegationen aus dem ganzen Land haben gegen das Projekt der Flussumleitung abgestimmt.

Im Umweltrecht ist zudem vorgesehen, dass zur Veröffentlichung der Umweltverträglichkeitsprüfung öffentliche Anhörungen durchgeführt werden, damit die betroffene Bevölkerung die Gelegenheit hat, ihre Kritik und Vorschläge vorzubringen. Im Falle der Flussableitung des Rio São Francisco wurden die öffentlichen Anhörungen nur formal durchgeführt, ohne der betroffenen Bevölkerung eine Teilnahme zu ermöglichen. Als Beispiel kann der Bundesstaat Bahia genannt werden, wo die öffentliche Anhörung mit lediglich acht Tagen Vorlaufzeit angekündigt wurde und in der Hauptstadt Salvador, 500km vom Rio São Francisco entfernt, in einem fünf Sterne Hotel durchgeführt wurde. In ähnlicher Weise wurde dies in anderen Staaten durchgeführt. Die öffentlichen Anhörungen sind eine Minimalbedingung für die Bürgerbeteiligung im Falle eines so komplexen und polemischen Projektes.

Diese Aspekte werden alle in den Einspruchsverfahren der Bundes-staatsanwaltschaft, der Staatsanwaltschaft der Bundesstaaten Bahia, Sergipe, Minas Gerais und des NGO-Netzwerkes Permanantes Forum zur Verteidiung des Rio São Francisco und verschiedener Nichtregierungsorganisationen anderer Bundesstaaten angeführt. Für zwei Jahre war das Projekt durch richterlichen Entscheid suspendiert worden. Am 18.12.06 urteilte der Oberste Bundesgerichtshof, dass der Oberste Gerichtshof über die alleinige Kompetenz im Hinblick auf die laufenden Verfahren gegen das Projekt verfüge. Mit diesem oberrichterlichen Entscheid wurde das Genehmigungsverfahren wieder fortgeführt. Allerdings wurde festgelegt, dass neue Anhörungsverfahren durchgeführt werden müssten. Diese Auflagen wurden von der Regierung nicht eingehalten. Am 23.03.07 wurde die Baugenehmigung erlassen, trotz aller Fehler des Genehmigungsverfahrens. Seit dem 05.07.07 fordert der Oberbundesstaatsanwalt den Obersten Gerichtshof auf, einen Baustopp zu erlassen. Der Richter Dr. Souza Prudente des Verwaltungsgerichts von Bahia hat am 10.12.07 über ein laufendes Verfahren dieses Gerichtes einen Baustopp verhängt, indem er die Entscheidung des Nationalen Beirats für Wasserressourcen als ungültig erklärte. Über die Forderungen des Baustopps werden die Bundesrichter am 19.12.07 entscheiden. Bis dahin sind die Bauarbeiten durch richterlichen Beschluss eingestellt.

Im Falle des Projektes der Umleitung des Rio São Francisco werden Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats verletzt. Das hat Dom Luiz Cappio zu seinem Fasten und Beten bewogen. Nachdem der nach seinem ersten Fasten versprochene Dialog mit der Bevölkerung der semiariden Region und des São Francisco Tals nicht durchgeführt worden war. Die Regierung hält daran fest, das Projekt voranzutreiben, ohne die Bevölkerung des Flusstals anzuhören, ohne die Gesetze des Landes zu respektieren. Dieses Vorgehen wird damit gerechtfertigt, vom Volk gewählt worden zu sein. Damit werden Prinzipien der Effizienz der Verwaltung verletzt, nach dem die Verwaltung die beste Alternative zum Erreichen der Ziele zu wählen hat. Außerdem verstößt es gegen das Vorbeugeprinzip, nach dem im Hinblick auf irreversible Schäden Vorsorge getroffen werden muss. Schließlich wird das Prinzip der Bürgerbeteiligung verletzt, demgemäß die verschiedenen Segmente der Gesellschaft angehört werden müssen. Da die Regierung nicht freiwillig ihrer Verantwortung gerecht wird, muss die Judikative eingreifen, wie dies bereits der Richter des Verwaltungsgerichts getan hat, damit die Respektierung der Gesetze des Landes wieder hergestellt wird, damit die Demokratie aufrecht erhalten bleibt und die Institutionen respektiert werden und ihre Funktion erfüllen.

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Brasília, 14. Dezember 2007

Paulo Maldos, Politischer Beirat von Cimi:

Präsident Lula und Dom Cappio im Spiegel der Geschichte

Dom Luiz Flavio Cappio begann vor 17 Tagen einen Hungerstreik zur Verteidigung des São Francisco Stroms bzw. gegen die künstliche Umleitung dieses gewaltigen Flusses. Damit setzt sich Dom Cappio für die Menschen ein, die am und vom Fluß leben - Anrainer, Fischer, Quilombolas (Nachkommen entlaufener Sklaven), Indigenen Völkern - sowie für alle, die im brasilianischen Nordosten unter Wassernot leiden. Schließlich gilt Dom Cappios Fasten dem gesamten natürlichen Lebensraum des nordostbrasilianischen Trockengürtels.

Dom Cappio fordert eine nationale Debatte über das Flussumleitungsprojekt, das nur dem Geschäft mit Wasser, der industrialisierten Agrarbranche und den grossen Baufirmen dienen würde. Dom Cappio weist auf die Alternative zur Flußumleitung hin, wobei es sich um ein Projekt handelt, das ebenfalls von der Regierung Lula ausgearbeitet wurde, genauerhin von der Nationalen Wasserbehörde ANA. Dieses Projekt konzentriert sich in erster Linie auf den schonenden Umgang mit der Umwelt und zielt darauf ab, Wasser bereitzustellen, nicht vorrangig Geschäfte.

Der Präsident Lula hat den versprochenen Dialog nicht weitergeführt und damit jenen Pakt gebrochen, der den ersten Hungerstreik beendet hat. Vielmehr stellt sich der Präsident nun vehement gegen Dom Cappio, indem er versichert, daß die Bauarbeiten durch das Militär unwiderruflich weitergehen würden. Dies bedeutet, daß für Lula der Tod von Dom Cappio einen gleichermaßen möglichen wie akzeptablen Ausweg darstellt.

 

Unterdessen bildet sich um den radikalen Akt des Bischofs eine Kette solidarischer Allianzen und Unterstützungen, deren ethische, politische, soziale und ideologische Provenienz leicht erkennbar ist: Es handelt sich um eben jene sozialen Bewegungen, Politiker, Menschenrechtskämpfer, pastorale Dienste, und um jene Persönlichkeiten aus katholischer Kirche, Politik und Kultur, die seit den 80 Jahren Lula als Anführer der breiten Volksmasse unseres Landes gefördert haben. Dieses soziale, politische und kulturelle Universum hat mit Lula während der letzte zwei Jahrzehnte ein Wechselverhälnis gepflegt, das jenem zwischen Kerze und Flamme ähnlich ist: der eine Teil lebt vom anderen Teil.

Die Auseinandersetzung um das Wasserumleitungsprojekt und die damit verbundene Aussicht auf Leben oder Sterben Dom Cappios führen vor folgende Wegkreuzung: Überlebt Dom Cappio, so wird sich besagter Weg fortsetzen, wenngleich immer konfliktreicher angesichts der von Lula seit fünf Jahren bezogenen Positionen; sollte Dom Cappio aber sterben, würde dies das endgültige Ende der gemeinsamen Weggeschichte bedeuten.

Nicht nur Dom Cappio würde sterben; auch Lula und seine PT (Arbeiterpartei) wären damit als politische Referenz für die sozialen Bewegungen in der brasilianischen Geschichte gestorben.

Vor nicht allzulanger Zeit haben wir das Ende der Diktatur erlebt, als Resultat eines beispielhaften Zusammenbruchs, den breite soziale und gewerkschaftliche Bewegungen erwirkt hatten und in deren Reihen Lula zum zentralen Protagonisten aufgeblüht war. Wir haben das Ende der Neuen Republik als das Durchsetzen der zivilgesellschaftlichen Alternative erlebt, als Akt des bürgerlichen Widerspruchs. Wir sind in schwarzer Kleidung mit den sozialen Bewegungen auf die Straße gegangen und und haben den Absturz des Abenteurers Collor und seines Regimes erreicht. Wir sind Zeugen des per Wahlzettel frustrierten neoliberalen Kurses des "Tucanos" Fernando Henrique Cardoso. Schlußendlich habens sich alle "mit der einzigartigen Verachtung in den Augen der einfachen Leute" gestraft gefunden, so wie es mit der Schlüsselfigur im Stück "Roda Viva" von Chico Buarque de Holanda passiert.

Die Geschichte Lulas erinnert in manchem an den Verlauf des São Francisco Flusses: viele saubere Quellen, dort wo er entspringt; danach ein abschüssiger, hindernisreicher Lauf, mit viel Unrat, Sandbänken und einander gegenläufigen Strömungen; schließlich die Verführung durch das große Kapital im Unterlauf; und damit ein Verfall, der verhindert, daß er im Ozean der Lebensgeschichte des brasilianischen Volkes mündet – sei es der Fluß, sei es der politische Anführer. Die Geschichte des volksnahen Lulas wird in einer Geschichte des Scheiterns auslaufen.

Der physische Tod Dom Cappios würde den politischen Tod Lulas bewirken.

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Seit heute wird Dom Luiz von einem befreundeten Arzt begleitet

Sobradinho – Seit heute (17.12.07), dem 21. Tag seines Fastens wird Bischof Cappio ständig von einem befreundeten Arzt begleitet. Der ärztliche Bericht spricht von beginnender Organschwäche aber hält an seiner Entscheidung fest, sein Fasten durchzuhalten. Er beteuert:" Ich fühle mich geistig und spirituell stark."

Seit Beginn seines Fastens hat er bereits acht Kilo an Gewicht verloren. Er weist Zeichen von niedrigem Blutdruck auf und hat immer wieder starke Blutdruckschwankungen. Außerdem wandern die Magenbakterien, wo sie kein geeignetes Milieu mehr finden, in andere Gegenden des Körpers und verursachen so Unwohlsein.

Für die am 19.12., eingeräumte Sitzung des obersten Bundesgerichtshof sind bereits mehrere Busse, mit Flussanrainern, Mitgliedern der sozialen Bewegungen und Pastoralmitarbeiter in Brasília eingetroffen. Sie haben, vor dem Regierungs- und Justizgebäude ihre Zelte aufgeschlagen. Mit dieser Geste möchten sie Dom Luiz Cappio ihre Solidarität aussprechen und gegen das Flussumleitungsprojekt demonstrieren. Sie werden bis zum Ende der Gerichtsverhandlung bleiben, und versuchen durch ihre friedliche Präsenz die Minister auf die fatalen Konsequenzen aufmerksam zu machen, falls es zur Weiterführung des Projektes kommen sollte.

Mahnwachen und nationales solidarisches Fasten

Als Geste der Solidarität finden im ganzen Land Kundgebungen statt. Der heutige Tag (17.12) wurde zum "Nationalen Tag des solidarischen Fastens und der Mahnwache" erklärt. Daran beteiligten sich die CNBB (brasilianische Bischofskonferenz), die CARITAS, die CIMI, die CPT, die sozialen Bewegungen, aber auch verschiedene brasilianische Persöhnlichkeiten, haben sich der Aktion angeschlossen.

Im Bundesland Bahia haben die Kundgebungen bereits am Samstag (15.12) begonnen. Dort haben sich am Wochenende, unter grosser Teilnahme der Bevölkerung, über dreitausend Personen, zusammengefunden. Sie haben angekündet, sich bis zum Ende der Gerichts-verhandlung auf dem "praça da Piedade", mitten im Stadtzentrum, zu versammeln, um gemeinsam die Bevölkerung auf die dramatische Situation hinzuweisen.

Ebenso haben sich am heutigen Tag (17.12), tausende von Leuten in anderen großen Städten Brasiliens, wie Belo Horizonte, São Paulo, Rio de Janeiro, Porto Alegre, Florianópolis, Fortaleza, Alagoas, João Pessoa und Manaus zu Kundgebungen getroffen. Gemeinsam bilden sie eine solidarische Kette, die Dom Luiz Kraft geben soll in dieser schweren Zeit.