Oleg Orlov: Seit Februar in Gefangenschaft

Foto: GfbV-Archiv


Fortsetzung der Schikane in Haft gegen Oleg Orlov

Während des Berufungsverfahrens seiner Rechte beraubt

Wir sind sehr besorgt über die Haftumstände des russischen Menschenrechtlers Oleg Orlov, der am 27.Februar 2024 in einem Unrechtsprozess zu zweieinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt und noch im Gerichtssaal inhaftiert wurde. Seine Anwältin legte sogleich Berufung ein. Bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens gilt Orlov nicht als rechtskräftig verurteilt. Dennoch bleibt Orlov in Untersuchungshaft nicht von Schikanen verschont. Er wurde mehrfach unangekündigt mitten in der Nacht verlegt.

So musste er in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, dem 11. auf den 12. April, mit unbekanntem Ziel aufbrechen, obgleich seiner Ehefrau noch am selben Tag ein Besuch zugesagt worden war. Dies kann nicht ohne Wissen und Zutun der Richterin geschehen sein. Dass Oleg Orlov unangekündigt von Moskau in das über 1.000km entfernte Samara verbracht wurde, ohne dass er selbst, seine Anwältin oder Ehefrau davon Kenntnis hatten, zeigt, wie willkürlich mit Gefangenen im russischen Strafsystem umgesprungen wird.

Berichten von Memorial zufolge hatte Orlov nicht einmal genug Zeit, seine Sachen zu packen und sich auf den Transport vorzubereiten. Es wurde ihm nicht mitgeteilt, wohin er verlegt würde, noch wurde ein Grund dafür benannt. Die Verlegung ist als Strafe on top zu betrachten, so ist er für seine Unterstützer nicht erreichbar und soll isoliert und zermürbt werden. Häftlinge sind in Russland insbesondere unterwegs, wenn sie „auf Etappe“ sind, und weder für Angehörige noch ihre Anwälte erreichbar sind, Schikanen, Misshandlungen und auch Folter ausgesetzt. Erinnert sei hier auch an das wochenlange Rätselraten, wo sich Aleksej Nawalny aufhielt, bevor er in dem Straflager Polar ankam.

Bereits am 17. April wurde Orlov wiederum unangekündigt verlegt, nach Sysran. Das erfuhr sein Anwalt erst, als er Orlov besuchen wollte und ihn nicht mehr antraf. Die Verlegungen sind Kräfte zehrend, da sie oft über Nacht stattfinden. Es kann keine Eingewöhnung stattfinden, ständig neue Umstände und Mitgefangene. Post wird teilweise nicht nachgeschickt, oder kann nicht mitgenommen werden. Orlov konnte zuletzt nicht an der gerichtlichen Anhörung zu seiner Beschwerde gegen die Eintragung in das Register der ausländischen Agenten teilnehmen, weil die Haftanstalt in Sysran per Video nicht zuschalten konnte. Und so summieren sich die Widrigkeiten, Willkür und Schikanen, denen Orlov schutzlos ausgeliefert ist.

Sein Team teilte mit, dass die Bibliothek in der Untersuchungshaftanstalt Sysran vorübergehend nicht arbeite, da der Bibliothekar für einen Monat beurlaubt sei, zudem gebe es keinen Fernseher in der Zelle.

Oleg Orlov wurde am 4. April 71 Jahre alt. Im April hatte er sich gerade erst von einer schweren Erkältung erholt, die er sich bei den täglichen Transporten in das Moskauer Gericht, wo er sich mit den Fallakten zu seinem Berufungsverfahren vertraut machen sollte. Auch dies war Teil der Böswilligkeiten gegen Orlov, da er täglich vor dem Frühstück abgeholt und nach dem Abendessen in die Haftanstalt zurückgebracht wurde, im Gericht oder im ungeheizten Transporter aber unverrichteter Dinge ganze Tage ausharren musste, ohne sich in die Unterlagen einarbeiten zu können.

Das Urteil gegen Oleg Orlov ist noch nicht rechtskräftig solang das Berufungsverfahren läuft. Ein Freispruch ist wenn auch unwahrscheinlich, so doch möglich. Seine Anwältin wies darauf hin, dass er bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens gar nicht verlegt werden dürfte.

„Wir wünschen Oleg Orlov, dass er durchhält und seine Gesundheit nicht weiter leidet unter diesen Schikanen. Es ist und bleibt ein Unrechtsverfahren, gegen das wir protestieren. Die Vorwürfe gegen Orlov müssen fallengelassen und er muss freigesprochen werden“, bekräftigt unsere Referentin Nora Erdmann.

Orlov wurde angeklagt und verurteilt wegen „politischen und ideologischen Hasses gegen die Russische Föderation“. Tatsächlich hatte der 71-Jährige den russischen Angriff auf die Ukraine kritisiert. Während des Prozesses war Orlov in das Register „ausländischer Agenten“ aufgenommen worden, was seine Verteidigung nahezu unmöglich gemacht hatte, zielte es doch darauf ab, ihn zu isolieren und zu diskreditieren. Orlov klagt gegen die Eintragung in das Register, für den 29. Mai ist der nächste Gerichtstermin in diesem Verfahren angesetzt.

In seinem Schlusswort vor Gericht hatte Orlov im Februar seine Unschuld bekräftigt: „Ich habe kein Verbrechen begangen.“ Er hatte das Verfahren mit Kafkas „Der Prozess“ verglichen: „Es handelt sich um Absurdität und Willkür, die unter der formellen Einhaltung einiger pseudo-juristischer Verfahren maskiert werden.“ Er erinnerte an die vielen politischen Gefangenen in Russland, zu denen er nun auch zählt und sagte: „Wir werden verurteilt, weil wir bezweifeln, dass ein Angriff auf einen Nachbarstaat der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dient. Absurd.“

Der russische Menschenrechtsaktivist hat mit seiner Organisation Memorial 2022 den Friedensnobelpreis erhalten. Im Jahr 2009 erhielt Oleg Orlov mit Memorial den Viktor-Gollancz-Preis der Gesellschaft für bedrohte Völker.

 

15. Mai 2024

Pressemeldungen

Ansprechperson

Sarah Reinke

Teamleitung Menschenrechtsreferate

s.reinke@gfbv.de