Hübsche Fassade oder Abbild der Realität?

Weltspiele indigener Völker in Brasilien

Ein Teilnehmer der Weltspiele indigener Völker während des Turniers. Foto: Marcelo Camarco/Agência Brasil

Im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele fanden Ende Oktober 2015 in Brasilien die ersten Weltspiele indigener Völker statt. Doch der Versuch der Regierung von Dilma Rousseff, mit einem exotisch-indigenen Farbtupfer die Welt positiv auf ihr Land einzustimmen, gelang nicht. In der Berichterstattung von Zeitungen wie FAZ, NZZ oder taz überwog die Kritik an der Ureinwohnerpolitik. Darüber unterhielt sich Manuela Sänger vom Lokalsender Radio Corax aus Halle/Saale im November 2015 mit Yvonne Bangert, Referentin für indigene Völker bei der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV).

Sie können sich das Interview hier anhören oder durchlesen. Tipp: Sie können sich den Beitrag auch herunterladen und später offline anhören.

Radio Corax: Yvonne, was sagst du dazu, dass jetzt in Brasilien im Oktober indigene Völker aus verschiedenen Ländern die Möglichkeit hatten, indigene Weltspiele auszurichten. Wie schätzt das die GfbV ein, in Bezug auf die Verletzung indigener Rechte in Brasilien?

Yvonne Bangert: Aus unserer Sicht ist das Risiko groß, dass die Spiele in erster Linie der Regierung zum Fassadenputzen dienten, denn die Regierung und speziell Präsidentin Dilma Rousseff sind ja gerade stark unter Beschuss. Ein Amtsenthebungsverfahren läuft gegen Rousseff; es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Meldungen über Korruptionsfälle zu lesen sind. Und da sich die Präsidentin ja auch als Person offenbar in den Vordergrund der Berichterstattung rückt, weckt dies den Verdacht, dass sie ein wenig von den wirklichen Problemen des Landes ablenken möchte.

Radio Corax: Die Spiele sind also nur schöner Schein nach der Devise: Wir tun etwas für die Indigenen, sie können sogar Spiele ausrichten?

Yvonne Bangert: Zum einen waren es Spiele nach Regeln, die die Indigenen selbst gar nicht aufgestellt haben. Es wirkte eher wie eine Imitation der Olympischen Spiele, die uns kommenden Sommer ins Haus stehen. Die Realpolitik gegen die Indigenen in Brasilien, wenn man das so nennen kann, spricht ganz eindeutig eine andere Sprache. Es gibt jedes Jahr einen Bericht vom Indianermissionsrat CIMI. CIMI wurde von der Bischofskonferenz Brasiliens gegründet als Menschenrechtsorganisation für die indigenen Völker des Landes. Der Report für das Jahr 2014 belegt, dass die Gewalt gegen Indigene immer mehr zunimmt, dass es immer mehr Tote unter ihnen gibt. Zum Teil sind es Aktivisten, die für Landrechte kämpfen, oder Menschenrechtler, die ermordet werden, zum Teil aber auch junge Leute oder sogar Kinder, die sich aufgeben, resignieren und sich selber das Leben nehmen. CIMI zieht da eine ziemlich grauenvolle Bilanz. Die Organisation hat Stützpunkte in allen indigenen Gebieten Brasiliens und ist daher über die Lage im Land sehr gut informiert.

Trotz des schönen Scheins konnten brasilianische Indigene während der Weltspiele auf die Verletzung ihrer Rechte aufmerksam machen. Foto: Marcelo Camarco/Agência Brasil

Radio Corax: Also wird vorgegaukelt, dass man etwas für sie tut und im Hintergrund werden die indigenen Führer, die sich gegen die Zerstörung des Landes ihrer Gemeinschaften und die Rohstoffausbeutung wehren, ermordet?

Yvonne Bangert: Ja, genau. Der CIMI hat dokumentiert, dass durchschnittlich 20 Menschen pro Monat im Jahr 2014 eines gewaltsamen Todes gestorben sind: Entweder wurden sie ermordet oder sie haben Suizid begangen. Auf der einen Seite gibt es Zeitungsberichte über eine große Auftaktveranstaltung von Dilma Rousseff und mehreren Ministern mit Indigenen im September, um die indigenen Weltspiele anzukündigen, auf der anderen Seite ist aber die gleiche Regierung damit beschäftigt, die eigentlich gute verfassungsrechtliche Stellung der Indigenen abzuschaffen. Bisher hat etwa die Regierung das letzte Wort, wenn es um die Gewährung von Landrechten geht. Nun soll jedoch das Parlament darüber entscheiden. Doch das Parlament lässt sich stark von den Interessen der Großgrundbesitzer leiten. Diese haben in der Regel etwas dagegen, dass indianische Landrechte in indigenen Gebieten, auf die beide Seiten Ansprüche erheben, rechtlich verankert werden. Da kann man sich ja ausrechnen, dass dies zu Lasten der Indigenen gehen wird. Es soll sogar Mechanismen geben, bereits anerkannte Landrechte rückwirkend wieder in Frage zu stellen. Das Waldgesetz, der Schutz gegen die Abholzung von Wäldern entlang von Flussläufen, ist schon abgeschwächt worden. Hinzu kommen auch Staudammprojekte. Belo Monte ist ja bekannt bei uns, das große Staudammprojekt am Río Xingu. Aber es ist nur ein Projekt von vielen, die die Interessen indigener Völker berühren und ihre Landrechte abschwächen. Nun soll eine transnationale Bahnlinie quer durch das Amazonasgebiet gebaut werden. So wie früher bereits die Transamazônica als Autostraße wird jetzt eine Eisenbahntrasse protegiert. Also das ist eigentlich die indianische Realität und nicht eine Woche hübsch angestrichene und offenbar auch gut finanzierte Spiele.

Radio Corax: Gibt es denn die Möglichkeit für die GfbV oder für andere Organisationen, die sich für die Rechte der Indigenen einsetzen, auf Brasilien Einfluss zu nehmen?

Yvonne Bangert: Wichtig ist die Zusammenarbeit von Netzwerken wie der Kooperation Brasilien e.V. (KoBra). Das ist ein Zusammenschluss von Menschenrechts- und Umweltorganisationen sowie kirchlichen Organisationen, die alle zu Brasilien arbeiten. Die brasilianische Regierung reagiert durchaus auf einen drohenden Imageschaden, also auf das Bild, das sie im Ausland abgibt, und da steht die Regierung Rousseff momentan auf schwachen Füßen. So konnten die gemeinsamen Proteste indigener Gemeinschaften und ihrer nationalen wie internationalen Unterstützer seit zwei Jahren verhindern, dass das Parlament über Gesetzesänderungen abstimmt, die die Verfassungsrechte indigener Völker aushöhlen würden. Allerdings hat das auch eine andere Seite. Armeechef Eduardo Villas Boas hat am 9. Oktober 2015 bei einer Videokonferenz mit 2.000 Reserveoffizieren vor einer sozialen Explosion im Land gewarnt, weil die Situation offensichtlich immer schlechter wird. Darüber berichtete das Internetportal latinapress am 15. Oktober 2015. Wenn man weiß, dass die Militärdiktatur in Brasilien erst 1985 endete – das ist ja noch nicht so lange her –, werde ich nachdenklich. Daraus kann man ja durchaus schließen, dass das Militär genau beobachtet, wie sich die Situation weiter entwickelt, und das beunruhigt mich.

Zuschauer während der Weltspiele indigener Völker verfolgen die Wettbewerbe. Foto: Marcelo Camarco/Agência Brasil

Radio Corax: Yvonne, gibt es ansonsten noch etwas zu dem Thema Brasilien und Indigene zu sagen, wenn wir jetzt schon die Möglichkeit dazu haben?

Yvonne Bangert: Eines meiner Herzensprojekte ist das Ashaninka-Projekt im Bundesstaat Acre auf der brasilianischen Seite der Grenze und in Ucayali auf der peruanischen Seite, bei dem durch Baumschulen, Fisch- und Bienenzucht oder Obst- und Gemüseanbau die nachhaltige Nutzung des Waldes gelebt wird. Die Ashaninka sind im brasilianischperuanischen Grenzgebiet zuhause. Dort treiben jedoch Drogenschmuggler und illegale Holzfäller ihr Unwesen. Ashaninka versuchen immer wieder, Abholzungen zu verhindern. Doch die Holzfäller reagieren gewalttätig. So wurden 2014 vier peruanische Ashaninka ermordet. Die Ashaninka vertrauen nicht auf den Schutz der Regierung ihres jeweiligen Staates und schließen sich immer mehr zusammen. Die brasilianischen Ashaninka haben gerade erst die peruanischen Ashaninka besucht und dann einen gemeinsamen Forderungskatalog verabschiedet, bei ihrer ersten bi-nationalen Konferenz. Diese Forderungen haben Ashaninka beim Klimagipfel in Paris im Dezember vorgetragen. Unter anderem fordern sie ein Ende der Gewalt, die durch Drogenschmuggel in ihren Gebieten verursacht wird, und ein Ende der Korruption auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene in beiden Staaten. Ich finde es ermutigend, dass sie sich da jetzt zusammentun und sich nicht aufgeben.

Das Interview wurde erstmalig abgedruckt in der Ausgabe „Indigener Umweltschutz“ (5/2015) der Zeitschrift „bedrohte Völker – pogrom“.


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